Bildwelten in der DDR (Weimar, 17-18 Oct 12)

Congress Centrum Neue Weimarhalle, UNESCO-Platz 1, 99423 Weimar, 17. – 18.10.2012

Internationale Tagung

Die andere Moderne?
Bildwelten in der DDR – Perspektiven einer Neubewertung

Veranstalter:
BMBF-Verbundprojekt „Bildatlas: Kunst in der DDR“ und Klassik Stiftung Weimar in Kooperation mit dem Dresdner Institut für Kulturstudien e.V.

Gefördert von: Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bundeszentrale für politische Bildung

Die öffentliche Tagung ist ein Beitrag zu der bis heute aktuellen Debatte um die Kunst aus der DDR. Die einander entgegengesetzten Wahrnehmungen des Umbruchs fanden seit 1990 im „Bilderstreit“ eine Diskursform: Es ging um die Frage, ob es „Kunst“ unter der östlichen Einparteienherrschaft überhaupt habe geben können.
Nach der Versachlichung des deutsch-deutschen Bilderstreites versucht die Weimarer Tagung eine interdisziplinäre Bestandsanalyse und debattiert die Perspektiven einer Neubewertung der bildenden Künste aus der DDR. Zudem zielt die Tagung in bildungspolitischer Sicht auf Formen der Geschichtsvergegenwärtigung. Das betrifft zum einen die Sonderrolle der Künste im sozialistischen Staat, zum anderen deren Stellvertretungsfunktion in der Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit. Darüber hinaus wird die bis heute andauernde Ausgrenzung ostdeutscher Kunst im westdeutschen und internationalen Kunstmarkt und Kunstsystem analysiert, die deren Wahrnehmung und Wiederentdeckung verhindert.
Die Tagung „Die andere Moderne? Bildwelten in der DDR – Perspektiven einer Neubewertung“ korrespondiert mit der zeitgleich eröffnenden großen Ausstellung zur Kunst aus der DDR im Neuen Museum in Weimar („Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR – neu gesehen“, 19.10.2012 – 3.2.2013). Zudem finden innerhalb des Kooperationsprojektes parallel dazu zwei Exkurs-Ausstellungen statt – im Angermuseum Erfurt („Tischgespräch mit Luther. Christliche Bilder in einer atheistischen Welt“, 21.10.2012 – 3.2. 2013) sowie in der Kunstsammlung Gera („Schaffens(t)räume. Atelierbilder und Künstlermythen“, 20.10.2012 – 3.2. 2013).

Tagungsprogramm

Mittwoch, 17. Oktober 2012

ab 11.30 Uhr
Anmeldung der Teilnehmer, Begrüßung und Empfang der Referenten

13.00-13.15 Uhr
Wolfgang Holler (Weimar), Karl-Siegbert Rehberg (Dresden)
Begrüßung

13.15-14.00 Uhr
Karl-Siegbert Rehberg (Dresden)
Die geteilte Moderne. Modernisierungs- und Traditionalisierungsprozesse in Ost und West

14.00-14.45 Uhr
Wolfgang Engler (Berlin)
Die ostdeutsche Moderne

14.45-15.30 Uhr
Monica Rüthers (Hamburg)
Vom Eisernen Vorhang zum Nylon Curtain – Bildwelten der DDR im Spannungsfeld zwischen Ideal und Begehren

15.30-16.00 Uhr
Pause

16.00-16.45 Uhr
Paul Kaiser (Dresden)
Bekenntniszwang und Melancholiegebot. Kunst in der DDR zwischen Historismus und Moderne

16.45-17.30 Uhr
Eckhart Gillen (Berlin)
Umbau des Lebens durch Kunst. Der totalitäre Konstruktivismus einer „lebensbauenden“ und Zukunft antizipierenden Kunst in der Sowjetunion und in der DDR

17.30-18.15 Uhr
Jonathan Osmond (Cardiff)
Horst Schlossar: Dix-Meisterschüler, Kriegskünstler, sorbischer Volksmaler und sozialistischer Realist

Abendempfang

18. Oktober 2012

09.30-10.15 Uhr
Birgit Dalbajewa (Dresden)
Zur Rezeption „proletarisch-revolutionärer Kunst“ in der frühen DDR. Ein Fallbeispiel

10.15-11.00 Uhr
Oliver Sukrow (Heidelberg)
Ein Epochenbild der 1960er Jahre: Josep Renaus „Zukünftiger Arbeiter im Sozialismus“

11.00-11.30 Uhr
Pause

11.30-12.15 Uhr
Annika Michalski (Leipzig)
Der Habitus des Verschwindens. Postmoderne Aspekte in den späten Selbstdarstellungen Werner Tübkes 1988-2004

12.15-13.00 Uhr
April Eisman (Ames/Leipzig)
Where Have All the Women Gone? The Western Reception of East German Art

13.00-14.30 Uhr
Mittagspause

14.30-15.15 Uhr
Sigrid Hofer (Marburg)
Fotografische Diskurse zur sozialistischen Stadt. Das frühe Werk von Ulrich Wüst

15.15-16.00 Uhr
Frank Zöllner (Leipzig)
Neo Rauch, die Leipziger Schule und die Eroberung des globalen Kunstmarktes

19.00 Uhr
Eröffnung der Ausstellung „Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR – neu gesehen“ im Neuen Museum Weimar

Konzeption und Konferenzleitung:
Prof. Dr. Karl-Siegbert Rehberg (Technische Universität Dresden), Dr. Paul Kaiser (Dresdner Institut für Kulturstudien), Prof. Dr. Wolfgang Holler (Klassik Stiftung Weimar)

Ansprechpartner:
Tanja Matthes, Christian Heinisch

Kontakt:
BMBF-Verbundprojekt „Bildatlas: Kunst in der DDR“
Institut für Soziologie
Technische Universität Dresden
01062 Dresden
Telefon: 0351/46337452 oder 0351/46337404
Fax: 0351/ 46337113
e-mail: bildatlas-ddr@mailbox.tu-dresden.de
www.bildatlastagung.wordpress.com

Anmeldung:
Wir bitten Sie, sich bis zum 10. Oktober 2012 schriftlich, telefonisch oder per e-mail anzumelden. Die Teilnahme an der Tagung ist nach bestätigter Anmeldung kostenfrei.

„Sensationeller Zuspruch“

Die Ausstellung Hasso Plattners trug dazu bei, dass die Kunst in Deutschland eine Einheit bleib

pnn.de vom 13.09.2012:“Diese Sonnenblumen rufen förmlich nach mehr Platz, um die überschäumende Kraft ihrer Blüten richtig entfalten zu können: nach einer Kunsthalle mit viel Licht und Raum. Hier im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) mussten sie sich acht Wochen lang mit einem etwas beengten Quartier begnügen. Und doch war es gut so, dass sie gerade dort ihr Intermezzo hatten. Die 1984 mit dicker pastoser Farbe gemalten „Sonnenblumen“ von Klaus Fussmann gehören zu der am Sonntag schließenden Ausstellung, die die im Aufbau begriffene Kunstsammlung Hasso Plattners vorstellte. Unter den 28 Werken vor allem bekannter ostdeutscher Künstler der sogenannten Leipziger Schule war als Solitär auch der aus Westberlin stammende Fussmann mit zwei großformatigen Arbeiten vertreten.

Es ist dem HBPG unbedingt zugute zu halten, dass es fast aus dem Stand diese kleine Schau ermöglichte. Der Kabinettcharakter mit den frei in den Raum gestellten Wänden spiegelt die temporäre Situation dieser im Wachsen begriffenen Sammlung wider, die natürlich in einer großen Ausstellung münden soll: in der entstehenden Kunsthalle Plattners am Jungfernsee.

Bei allem Bedauern, dass diese Halle nun aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in die Stadtmitte kommt, macht der Ansturm auf den Prolog im HBPG Hoffnung, dass die Kunstenthusiasten auch den Weg in Potsdams Norden finden werden. So viele begeisterte Einträge im Gästebuch sind beredtes Zeugnis für das immense Interesse. „Vielen Dank, dass Sie durch die Ausstellung dazu beitragen, dass die Kunst in Deutschland eine Einheit bleibt“, ist da zu lesen. Oder „Diese Ausstellung zeigt, dass wir dieser Kunst in Potsdams Mitte eine, nein die (!) gebührende Wertschätzung hätten geben müssen.“

Zu den Gästen, die sich am gestrigen Mittwoch die Bilder von Bernhard Heisig, Arno Rink, Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer oder Willi Sitte anschauten, gehörte das Ehepaar Monika und Walter Schelske aus Greifswald, das gezielt seinen Potsdam-Tripp mit dem Ausstellungsbesuch verband. „Uns interessiert die DDR-Kunst. Wir sahen zwar nicht die typischen Bilder, die wir kennen. Aber es ist eine Ergänzung dazu“, so der Philosoph und die Bibliothekarin. Sie zeigten sich keineswegs enttäuscht, dass ältere Schlüsselwerke etwa von Mattheuer oder Sitte bislang nicht zur Sammlung gehören. Diese, so weit noch auf dem Markt zu haben, wünscht man sich indes ganz persönlich doch sehr für diese durchaus schon attraktive Sammlung. Ebenso wie Werke abseits der etablierten Kunst und des Leipziger Schmelztiegels, selbst wenn diese Kunsthochschule sehr unterschiedliche Ausdrucksformen hervorbrachte. Doch letztlich liegt es allein im Ermessen Plattners, was er kauft. Er ist der Sammler. Gerade erst hat er weitere Werke von Mattheuer aus Leipziger Privatbesitz erworben. Man darf erneut gespannt sein.

11 000 Besucher quer durch die Generationen werden die Ausstellung bis Sonntag gesehen haben. Die meisten Gäste kamen aus Potsdam. Aber auch aus Berlin und Leipzig reisten viele an. „Für uns sind diese Zahlen sensationell. Damit haben wir nicht gerechnet“, so Pressesprecherin Antje Frank. Diese Ausstellung mit Werken ostdeutscher Künstler, die vor und auch nach der Wende entstanden sind, hatte eine ähnliche Resonanz wie die Expositionen zu Schinkel 2006 und die zu Hedwig Bollhagen 2007. „Es kann durchaus sein, dass durch die Plattner-Schau unser Haus bekannter geworden ist“, sagt Antje Frank.“ weiterlesen

Dossier: Autonome Kunst in der DDR

Von Uta Grundmann und Klaus Michael, Bundeszentrale für politische Bildung

Über zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR ist kaum eine Kunstentwicklung – die offizielle wie die unabhängige Ausstellungskultur – so ausführlich und gründlich dokumentiert worden wie die des zweiten deutschen Staates. In der Öffentlichkeit besonders bekannt für die Schaffung von Freiräumen für Kunst außerhalb der staatlichen Strukturen ist die heute sehr erfolgreich und international operierende Galerie Eigen+Art.
Dieses Dossier zeigt, dass es eine Vielzahl sich autonom verstehender Kunstszenen in der DDR gab und die Eigen+Art nur ein Teil davon war. Dabei wird auch klar, dass diese autonomen Kunstszenen keine Horte künstlerischen Widerstands waren oder Orte der Einheit von Revolution, Kunst und Leben. Vielmehr müssen die offizielle Repräsentationskultur und die „alternative“, „andere“ oder „zweite“ Kultur in der DDR „eng zusammen, als interferierendes Gleichzeitiges“ (Uwe Kolbe) gedacht werden. Das Dossier widmet sich einigen wichtigen Ausstellungsräumen, Projekten und Initiativen sowie den Vermittlern und Protagonisten. Der Zeitraum beschränkt sich in erster Linie auf die Jahre 1970 bis 1990.

Das Dossier enthält allgemeine Essays zum Thema Autonome Kunst in der DDR und Artikel zu den einzelnen Orten, die in der autonomen Kunstszene der DDR eine Rolle gespielt haben. Einen besonders spannenden Einblick bieten die zahlreichen Fotos aus der Zeit, die die Vielfalt der Kunstszene in der DDR anschaulich dokumentieren.

Inhalt:

DDR-Kunst im Kontext von Geschichte, Politik und Gesellschaft

Die Herausbildung einer alternativen Kunstszene

Vorgeschichte selbstbestimmter Ausstellungskultur 1945-1970

Selbstbestimmte Kunst in offiziellen Ausstellungsinstitutionen 1970-1990

Unabhängige Literatur in der DDR

Berlin

Dresden

Karl-Marx-Stadt

Thüringen

Leipzig

Literaturliste

zum Dossier

Hammerstein, Katrin; Scheunemann, Jan (Hrsg):Die Musealisierung der DDR. Wege, Möglichkeiten und Grenzen der Darstellung von Zeitgeschichte in stadt- und regionalgeschichtlichen Museen

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:

Carola S. Rudnick, Facts & Arts, Betzendorf/Lüneburg
E-Mail: <c-rudnick@t-online.de>

Hier wird mehr als nur eine Tagung dokumentiert. Der mit einer gewissen Verzögerung veröffentlichte Band wirkt selbst wie ein seltenes Museumsobjekt, das die Debatte um eine angemessene Darstellung und Vermittlung von DDR-Geschichte in sich eingefroren hat und für spätere Zeiten zur Analyse freigibt. Die Leserinnen und Leser können eine von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur geförderte und mit dem Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig im Juni 2010 durchgeführte Veranstaltung nachvollziehen, die primär als „Werkstattbericht“ vorführt, was in verschiedenen städtischen und regionalgeschichtlichen Einrichtungen facettenreich und nicht immer frei von massiven Problemen geschieht. Katrin Hammerstein und Jan Scheunemann als Herausgeber verdeutlichen, dass Museen vor ähnlichen Vermittlungsproblemen stehen wie DDR-Gedenkstätten. Auch dort wird um ein angemessenes Erinnern und Gedenken gerungen, um Geschichtsbilder und Interpretationen von deutschen Diktaturen. Und: Museen folgen der historisch-politischen Bildungsarbeit in Bezug auf Standards, auf diskursive und reflektierende (Re-)Präsentationsmethoden und auf erinnerungskulturelle Praxen. Man bekennt sich offen zu eigenen geschichtspolitischen Positionen, zu Nöten und Zwängen. Erkennbar wird: Museen und Gedenkstätten nähern sich an.

Martin Sabrow analysiert in seinem Eröffnungsbeitrag präzise das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Erklärung, didaktischer Vermittlung und biografischer Erfahrung, in dem sich zeithistorische Museumsarbeit bewege (S. 16f.). In diesem Spannungsfeld spricht er sich gegen normative Bewertungen und für eine Historisierung bzw. politische Entdogmatisierung aus (S. 22ff.). Für die Museumsarbeit leitet er daraus das Plädoyer ab, die unterschiedlichen Narrative und den jeweiligen Zeithorizont historischen Geschehens mit zu reflektieren und Räume für einen kritischen Dialog zu schaffen (Diskussionsteil, S. 38f.).

Damit positioniert er sich gegen Rainer Eckert, den Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig, der gegenteilige Prämissen verfolgt (in der dokumentierten Diskussion mit Bernd Faulenbach und Karl Heinrich Pohl) – nämlich das (Fest-)Setzen von Begriffen wie „Friedliche Revolution“, das Ablehnen von Multiperspektivität, das Produzieren geschlossener Geschichtsnarrative. Das Zeitgeschichtliche Forum erzählt laut Eckert die DDR-Geschichte aus der Perspektive der Opposition und des Widerstands, mit dem Ziel, demokratische Identität zu stiften. Schließlich löst auch Eckerts Auffassung, die Aufgabe des Museums sei es, eine historische Großerzählung, einen Mythos durchzusetzen, herbe Kritik und Gegenrede aus. Dies findet nicht nur durch wichtige Podiumsbeiträge Eingang in die Dokumentation, sondern auch anhand alternativer Fallbeispiele.

So stellt Pohl den Auffassungen Eckerts ein studentisches kommunales Museumsprojekt im Dorf Sehestedt (Schleswig-Holstein) gegenüber, das geschichtsdidaktisch dezidiert „von unten“ konzipiert sei, die Dorfbewohner einbeziehe sowie Kontroversität und Ergebnisoffenheit, Gegenwartsbezug, Handlungs- und Empfängerorientierung, Individualisierung und Multiperspektivität zum Prinzip erhebe. Das Museum hat zwar keine DDR-Geschichte als Gegenstand, zeigt jedoch die vielfältigen Möglichkeiten kleinerer, ländlicher Einrichtungen auf.

Irmgard Zündorf unterstreicht in ihrem Beitrag über „DDR-Alltagskultur im Museum“, dass eine alleinige Fokussierung auf „Herrschaft“ und „Repression“ nicht zum tieferen Verständnis des Funktionierens der Diktatur führe, sondern dass gerade die Alltagsgeschichte wichtige Erkenntnisse über gesellschaftliche und individuelle Mechanismen offenbare. Die Thematisierung von „Mitmachbereitschaft“ und „Anpassungsdruck“ sei für historisches Lernen fruchtbar. Weder die öffentlich geförderten noch insbesondere die privaten Museen würden dieses Potenzial bislang aber ausschöpfen. Die Autorin moniert einen Beliebigkeit erzeugenden Objektfetischismus sowie einen Hang zur „ins Lächerliche“ umschlagenden Inszenierung ohne Erkenntnisgewinn (S. 107). Die Herausforderungen, die Alltagsgeschichte im Museum mit sich bringe, hätten noch keine hinreichenden Antworten gefunden (S. 105). In der anschließenden Diskussion wird noch einmal hervorgehoben, dass Alltagsobjekte auf geschichtswissenschaftliche Einbettung besonders angewiesen sind.

Nicht minder kritisch berichtet Karl-Siegbert Rehberg über die Verbannung von DDR-Kunst aus Museen und Galerien. Bei Präsentationen über Kunst des 20. Jahrhunderts oder deutsche Kunst nach 1945 würden DDR-Künstler weitgehend ignoriert; die Ausnahme seien nur solche Künstler, die schon vor 1989 über den Westen internationalen Ruhm erlangt hätten. Im Westen weniger prominente DDR-Künstler seien zusammen mit der politischen „Elite“ entsorgt bzw. ihre Werke als „Staatspropaganda“ marginalisiert worden. Hierzu hätten Akteure in den neuen Bundesländern selbst viel beigetragen, ergänzt Monika Flacke vom Deutschen Historischen Museum die Kritik am Kunst-Vergessen und am „sanften Entschwinden“ (Diskussion, S. 293). Von einem angemessenen Umgang mit „Kunst aus der DDR“ sei die (deutsche) Museumswelt weit entfernt, lässt sich die Debatte zusammenfassen. weiterlesen

„Bedeutendster DDR-Künstler Fritz Cremer wurde in Arnsberg geboren“

WAZ.de vom 18.08.2012: „Es sind nur wenige Spuren in Arnsberg, die an einen berühmten, aber auch zu Lebzeiten sehr umstrittenen Sohn der Stadt erinnern. Die Rede ist vom Bildhauer, Grafiker und Zeichner Fritz Cremer, einem der bedeutendsten Künstler in der Deutschen Demokratischen Republik (1949 bis 1989). Für die Führung der DDR galt er sogar als der wichtigste Vertreter seines Metiers.

Fritz Cremer wurde am 22. Oktober 1906 in Arnsberg als Sohn des Polsterers und Dekorateurs Albert Cremer, der 1907 starb, geboren. Fritz Cremer lebte fast eineinhalb Jahre im Haus Ruhrstraße 5 am heutigen Kreisverkehr mit der Europablume. Eine Tafel oder Hinweisschild sucht man hier allerdings vergeblich. Dafür ist aber auf Vorschlag der Arnsberger Sozialdemokraten eine Straße im Neubaugebiet Jägerkaserne nach Fritz Cremer benannt worden. Bevor es allerdings soweit war, wurde heftigst in den politischen Gremien darüber gestritten, erinnert sich der heute 78-jährige Ferdi Franke, früherer SPD-Ortsvereinsvorsitzender.

Obwohl Dr. Günter Cronau, ehemaliger CDU-Stadtdirektor in Arnsberg, später zum Freund der Familie Cremer in Ostberlin avancierte, waren es die Sozialdemokraten, die im Jahre 1985 den Kontakt zum berühmten Sohn der Stadt, der freiwillig und aus kommunistischer Überzeugung in die DDR übergesiedelt war, aufgenommen hatten. Günter Wulf, ehemaliger Lokalchef der Westfälischen Rundschau war es, der Ferdi Franke darauf hinwies, dass Cremer aus der Ruhrstadt stammt. Und dann begannen Frankes Recherchen, die ihn über einen Schwager in Halle auch mehrfach in die DDR führten. Doch direkten Kontakt zu Fritz Cremer gab’s nicht, aber über den Schwager erfuhr Ferdi Franke von einer von Cremer gestalteten Mappe von Grafiken mit dem Titel: „Für Mutter Coppi und die Anderen, Alle!“

Der Preis pro Mappe: 134 Mark Deutscher Notenbank. Franke orderte bei seinem Schwager Zeiten insgesamt drei Exemplare und warb erneut um eine Einreisegenehmigung. Arnsbergs Bürgermeister, zu jener Zeit war dies Alex Paust, war in die Vorhaben eingeweiht. Als die Mappen sicher nach Arnsberg transportiert werden konnten, ging eine an die damalige VHS, eine an Bürgermeister Paust, der sie später Stadtdirektor Dr. Cronau zur Verfügung stellte und die dritte verblieb im Besitz von Ferdi Franke.

Und mit dieser von Ferdi Franke aus der DDR nach Arnsberg transportierten Mappe mit dem Titel „Für Mutter Coppi und die Anderen, Alle!“ wurde dann auch im Oktober 1988 eine Ausstellung im Kulturzentrum am Berliner Platz in Hüsten eröffnet. Die erste offizielle Würdigung von Fritz Cremer in seiner Geburtsstadt.

Und wie sich Ferdi Franke heute erinnert, wurde diese Präsentation von der damaligen CDU in der Stadt arg bekämpft. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien. Allerdings litt auch die Ausstellung unter Publikumsmangel. Aus diesem Grund organisierte die VHS unter ihrem damaligen Leiter Dr. Herring im Juni 1989 eine weitere Ausstellung zum selben Thema in der Sparkasse Arnsberg an der Clemens-August-Straße, die auf reges Interesse der Bevölkerung stieß. Fritz Cremer hatte in Ost-Berlin von den Arnsberger Aktivitäten erfahren und in einem Brief seiner Freude darüber Ausdruck verliehen. Der Grundstein war gelegt, weitere Kontakte in die Hauptstadt der DDR anzuleiern.“ weiterlesen

Schloss Biesdorf – Der Traum vom Bilderschloss

Ab 2015 werden auf Schloss Biedorf nicht nur die Bilder der realistischen Kunst der DDR zu sehen sein, sondern es soll rund um diese Bildwerke auch eine Reihe weiterer Kunstwerke geben, die sich im Wechselspiel mit diesen Kunstwerken aus Beeskow in den Dialog begeben werden.

Alles über die Hintergründe, die Planungen  und Akteure rund um das Thema Galerie BILDERSTREIT auf Schloss Biesdorf finden Sie ab sofort hier.

Die Kunstausstellung „BilderBühnen. Leindwandszenen aus dem Kunstarchiv Beeskow“ wird auf Schloss Brandenstein gezeigt

Schloss Brandenstein, Brandenstein 1, 07389 Ranis / Ortsteil Brandenstein

18. August bis 30. November 2012

Den Grundstock des seit 1992 bestehenden Kunstarchivs Beeskow bilden rund 1.500 Gemälde, die von den Parteien und Massenorganisationen der DDR und dem Magistrat von Berlin seit den 1950er Jahren angekauft oder in Auftrag gegeben worden waren. Mehr als die Hälfte dieser Kunstwerke entstand im letzten Jahrzehnt der DDR und entgegen der gängigen Meinung, in Beeskow seien nur Aufbauromantik, Siegerpathos und gesellschaftliche Idylle zu sehen, lässt sich ein Großteil dieser Werke Themen zuordnen, die gesellschaftliche Konflikte zum Inhalt haben, vor Katastrophen warnen und persönliche Ängste widerspiegeln. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl dieser großformatigen figurativen Bilder, gibt einen Einblick in das Spektrum der offiziell in der DDR akzeptierten Kunst und präsentiert verschiedene künstlerische Konzepte der 1980er Jahre. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie gesellschaftlich relevante Themen künstlerisch begleitet oder kommentiert wurden.

Die Ausstellung präsentiert Bilder mit ausdrucksstarken Figuren und szenische Darstellungen wie sie zur gleichen Zeit auf den Theaterbühnen des Landes zu erleben waren. Um diesem ersten Eindruck nachzugehen wurden Theaterwissenschaftler, Dramatiker und Regisseure gebeten, sich im Katalog zur Ausstellung den Bildern der 1980er Jahre aus der Perspektive eigener Erfahrungen zu nähern.

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Presse:

OTZ.de vom 15.08.2012

Werner Tübke. Zeichnungen & Druckgrafik

Kunstverein Wiligrad e.V., Wiligrader Str. 17, 19069 Lübstorf

11. August bis 23. September 2012

Werner Tübke, einer der bedeutendsten Maler und Grafiker der DDR, der vor allem mit über dreihundertfünfzig Gemälden und mehr als fünfhundert Aquarellen Weltruf erlangte, hinterließ jedoch mehrere tausend Zeichnungen.

Sie reflektieren unter anderem – wie auch diese Auswahl auf Schloss Wiligrad belegt – Tübkes Studienreisen nach Italien und in die Sowjetunion, deren Republiken er ein ganzes Jahr mit dem Skizzenblock durchstreifte. In Wiligrad sind davon solche Arbeiten Tübkes zu sehen wie „Usbekische Landschaft“, „Im Westkaukasus“, „Stadttor in der Toskana“ und „Volksfest im Gebirge“.

Tübkes internationale mit vielen Auszeichnungen bestätigte Anerkennung bezieht sich vor allem auf den Maler Werner Tübke, der mit Bernhard Heisig, Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer und Heinz Zander zur „Leipziger Schule“ gehört und darum besonders als Urheber bedeutender Gemälde bekannt ist. – Deshalb ist es ein Verdienst des Kunstvereins Wiligrad, diese Seite des Schaffens von Tübke in unserer Region hervorzuheben und vorzustellen mit der Präsentation seiner Zeichnungen.

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Wegträumend und anbiedernd

Das Potsdam-Museums zeigt 2014 die Ausstellung Kunstraum-Stadtraum – mit Werken der Galerie sozialistische Kunst

pnn.de vom 3.08.2012: „Sie ist wieder salonfähig: die Kunst der DDR. Der Sammler Hasso Plattner zeigt sie und auch das Potsdam Museum weiß längst um ihren Wert. Während der millionenschwere Kunstmäzen im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte derzeit die großen Namen wie Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Arno Rink präsentiert, sichtet das städtische Museum akribisch die regionale und auch überregionale Kunst: die oftmals zweite Riege, die es nicht auf den internationalen Markt geschafft hat. Und doch ist sie so vielstimmig, so spannend und zum Teil auch künstlerisch so gediegen, dass sie wieder ans Licht der Öffentlichkeit gehört. Denn sie erzählt weniger vom sozialistischen „Bau auf, bau auf“ und dem Heroismus der Arbeiterklasse als vielmehr vom Wegträumen, von den stillen Nischen, von der Tristesse und vom Plattmachen historischer Baukultur. Sie ist zugleich dokumentarisch und freidenkend, schönfärbend und schwarzmalend, ehrlich und auch anbiedernd.

5200 Werke wurden in der Galerie sozialistische Kunst des Potsdam Museums von 1976 bis 1990 gesammelt: Auftragswerke ebenso wie Ankäufe aus Ausstellungen oder Ateliers. Alles verschwand nach der Wende mehr schlecht als recht in schnell gesuchte, in der Stadt verstreute Depots. Auch die Werke aus Ferienheimen, Parteizentralen, Verwaltungsbüros, die von den Wänden abgehängt wurden, kamen dorthin. Vor gut einem Jahr fand das Museum nun endlich in einem dreigeschossigen Backsteinbau auf dem bewaldeten Gelände der ehemaligen Panzerhallen in Groß Glienicke einen Ort, an dem ausreichend Platz zum Lagern und Sichten der 1300 Gemälde, über 2000 Grafiken sowie Fotografien und Plastiken ist.

Die Museumschefin Jutta Götzmann und ihre Mitarbeiterin Anna Havemann gehen oft die Steintreppen hinauf, um in den acht benachbarten Räumen mit der Aufschrift „PM-GSK“ (Potsdam Museum – Galerie sozialistische Kunst) die hölzernen Grafikschränke und meterhohen Metallregale mit Gemälden zu durchkämmen. Mitunter reicht ein Blick, um die Spreu vom Weizen zu trennen, wenn man Fähnchen schwenkende Kinder mit Friedenstaube sieht oder die Riesenköpfe von Engels oder Lenin, die in ihrer Größe die feinsinnigen plastischen Arbeiten in den Regalen fast erdrücken. Doch dann ist da das visionäre Bild von Werner Gottsmann „Potsdamer Stadtlandschaft“ unter einem Regenbogen von 1975, das die Nikolaikirche in die Mitte rückt, oder das von Peter Rohn 1981 gemalte Nacht-Bild mit Abrisshäusern in der Gutenbergstraße, nur vom Mond bewacht. Romantisch und mystisch zugleich.

Und immer wieder sieht man Fluchtorte, Sehnsuchtsorte, wie die vielen Bilder über Sanssouci, die innere Emigration in Porträts oder der Blick aus dem Atelier in die Enge der Straße.

Im Frühjahr 2014 soll es eine große Ausstellung zum Thema „Stadtraum-Kunstraum“ im neuen Potsdam Museum geben. Sie wird zum großen  Teil aus dieser Sammlung gespeist. Oberstes Sammelkriterium war es, den neuen Menschen und die Entwicklung der Stadt zu präsentieren, ist in einer Anweisung vom einstigen Rat des Bezirkes Potsdam zu lesen. Wie unterschiedlich dies vonstatten ging, zeigen allein zwei Bilder mit musizierenden Menschen. Während der Maler Kurt Robbel das Fröhlich-Unbeschwerte herauskehrt, fängt fast zu gleichen Zeit Heinz Böhm in seiner „Sonate“ von 1957 das Intime, Bedrückende ein. Auch auf dem expressiven Gemälde „Kinder der Welt“ von Christa Panzner aus dem Jahr 1986 sieht man in schwarze Augenhöhlen, spürt man dieses Insichgekehrtsein. Ebenso wie bei der bleichen hageren „Jungen Frau“, der Malerin Ilse Fischer (1900 bis 1979), die in allen ihren Werken feinnervig nach dem Individuellen forscht. Von ihr befindet sich der gesamte Nachlass in der Sammlung. Er wird derzeit im Rahmen einer Diplomarbeit an der Fachhochschule Potsdam erforscht. Jutta Götzmann hat sich generell um Kooperationen mit dem Studiengang Kulturarbeit bemüht.

m September kommt ein weiterer Schatz dazu: rund 50 Werke aus dem Nachlass von Karl Raetsch. Aquarelle, Holzschnitte, Ölbilder. Ein Maler, der mir robuster, oft sarkastischer Leidenschaft und gekonntem Strich seine Stadt einfing.

Welche Werke es letztendlich in die Ausstellung schaffen, wird vor allem die Qualität und der thematische Bezug zum Kunstraum-Stadtraum entscheiden. „Es wird aber keine flache Ausstellung nur mit Potsdam-Ansichten. Wir zeigen die Stadt mit ihren Innen- und Außenräumen und mit dem Rückzugsraum Atelier“, sagt die Museumsdirektorin Jutta Götzmann. Dabei wird Potsdam nicht isoliert betrachtet, sondern im Kontext zu Berlin, wo die meisten Künstler aus der Region studiert haben. „Außerdem kooperieren wir mit dem ganz wunderbaren digitalen Projekt ,Bildatlas – Kunst in der DDR’ der Technischen Universität Dresden. Dort sind in dreijähriger Forschungsarbeit mehr als 20 000 Werke erstmals systematisch erfasst und katalogisiert worden.“ Mit diesem Bildatlas arbeitet auch die Stadt Weimar, die im Herbst mit der großen Sonderausstellung „Abschied von Ikarus“ ebenfalls neu auf die Bildwelten in der DDR schauen will.

„Mit unserer Ausstellung versuchen wir, einen qualitativ überzeugenden Maßstab zu setzen. Dazu werden wir auch viele Leihgaben ordern. Um die eigenen Bestände besser einordnen zu können, hilft uns der Bildatlas. Denn wir sehen unsere Werke im Vergleich zu Halle, Berlin oder Leipzig.“ Wie Jutta Götzmann betont, sei in der Galerie sozialistische Kunst oft sehr selektiv und nach subjektiven Ansätzen angekauft worden. „Die Kunst ist teils besser gewesen als es die Sammlung spiegelt, wie wir es bei manchen Bildern von Barbara Raetsch oder Peter Rohn sehen können. Auch Stephan Velten ist nicht mit seinen hochkarätigsten Sachen vertreten. Die politisch-ideologischen Gründe haben beim Kauf eine Rolle mitgespielt, wenn die Auswahl nicht in den Händen der Galerieleiterinnen, sondern beim Rat der Stadt und des Rates des Bezirkes lag“, betont die Direktorin.

Oft bekamen die Künstler Werkaufträge, wie Angela Frübing zum Thema „Kinder und ihr Leben im Alltag“, wofür sie 10 000 DDR-Mark erhielt. Alles ist akribisch aufgelistet und neben den biografischen Notizen, Leihverträgen und sämtlichen Einladungskarten zu Ausstellungen in einem Metallschrank verwahrt. Es wurde auch rückwirkend gekauft, um die Nachkriegszeit einzufangen. So gibt es Arbeiten des bekannten Malers der Neuen Sachlichkeit, Curt Querner, der auch in Nationalgalerie Berlin zu sehen ist. Und viele Ruinenbilder von Paul August, der Potsdam gleich nach dem Krieg malte. Er hat auch den „Bau der Schwimmhalle“ 1971 auf dem Brauhausberg in einem eindrucksvollen Farbholzschnitt festgehalten.“ weiterlesen

Die können ja noch malen!

Vorabdruck. Vor 35 Jahren: Die DDR zu Gast in Kassel. Reflexionen über ein Stück documenta-Geschichte

junge Welt vom 3.082012: „Während die gegenwärtige 13. documenta mit hohlem Getöse an uns vorüberzieht, gerät ein Jubiläum aus dem Blickfeld. Dieses Wegsehen hat seinen Grund weniger im üblichen Medienrummel um diese 100-Tage-Schau, sondern vor allem in der aktuell herrschenden Haltung zur DDR und zu ihrer Geschichte.

In diesen Tagen jährt sich die erst- und letztmalige Teilnahme von Künstlern aus der DDR an der documenta 6 zum 35. Mal. 1977 hatten offiziell vier Maler und zwei Bildhauer aus Leipzig, Halle, Berlin und Rostock insgesamt 25 Werke im Kasseler Fridericianum und im Freiraum vor einem Wandbild der chilenischen Malerbrigade »Pablo Neruda« gezeigt: Werner Tübke war u.a. mit seinen Bildern »Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze III«, »Bildnis eines sizilianischen Großgrundbesitzers«, »Tod in Venedig« und »Chilenisches Requiem« vertreten. Willi ­Sitte präsentierte ein Elternbildnis, seine »Sauna in Wolgograd«, die »Strandszene mit Sonnenfinsternis« und sein dynamisches Gruppenporträt »Die Sieger«; sein Triptychon »Jeder Mensch hat das Recht auf Leben und Freiheit« konnte aus zuvor nicht absehbaren Platzgründen nicht gehängt werden. Von Wolfgang Mattheuer waren u.a. die Gemälde »Hinter den sieben Bergen«, »Freundlicher Besuch im Braunkohlenwerk« und »Der übermütige Sisyphos und die Seinen« zu sehen. Und Bernhard Heisig, der – gemeinsam mit dem Kurator dieses DDR-Teils, Lothar Lang, auch die Hängung besorgte, stellte fünf seiner wichtigsten Werke vor: »Festung Breslau – Die Stadt und ihre Mörder«, eine »Ikarus«-Fassung von 1973, seinen »Traum des unbelehrbaren Soldaten«, das »Preußische Museum« und sein ergreifendes »Porträt Vaclav Neumann«, das den tschechischen Dirigenten und Violinisten sensibel erfaßt und für mich noch heute zum Besten zählt, was in der DDR auf dem Gebiet der Bildnismalerei entstand. Auf Vorschlag dieser vier Künstler waren Fritz Cremer mit seinem »Aufsteigenden«, der als Geschenk der DDR auch vor dem UNO-Gebäude in New York aufgestellt worden war, und Jo Jastram mit seinen »Ringern« aus der Kunsthalle Rostock vertreten. Außerdem waren in einer Abteilung Handzeichnungen – neben der offiziellen DDR-Auswahl und von der Öffentlichkeit wenig bemerkt – weitere Arbeiten von Werner Tübke und Gerhard Altenbourg aus dem Besitz von westdeutschen Sammlern untergebracht.

Ringen mit Vorurteilen

Obwohl vor allem in vier Buchpublikationen diese Teilnahme von Künstlern aus der DDR sowohl aus subjektiver Sicht1 als auch mit wissenschaftlicher Akribie2 reflektiert und untersucht ist, spielt dieses Kapitel der documenta-Geschichte in der Gegenwart kaum eine Rolle. Doch gerade jetzt, da immer noch und immer wieder ausgegrenzt, abgerissen, verdrängt und mit Halbwahrheiten, Lügen und Unterstellungen gearbeitet wird, bietet dieses 35 Jahre zurückliegende Ereignis Anlaß, über einen – wenn auch nicht konfliktlosen, so doch einigermaßen normalen – Umgang mit Kunst, die in der DDR entstand, nachzudenken.

Die Voraussetzungen waren damals schwieriger als heute. Es gab zwei deutsche Staaten, zwischen denen zu diesem Zeitpunkt noch kein Kulturabkommen existierte. Zwar hatte es bis dahin schon mehrere Ausstellungen in der Alt-BRD und in Westberlin gegeben, und auch nach dieser documenta zeigten bis 1989/90 Künstler aus der DDR dort in größerem Umfang ihre Werke. Aber die vor allem aus ideologischen Vorbehalten, aus Unkenntnis und Dünkel geborenen, pauschalierenden Urteile über einen genormten sozialistischen Realismus bestimmten – und bestimmen teilweise bis heute – das Verhalten gegenüber der im Osten Deutschlands entstandenen bildenden Kunst. Man hatte nicht oder kaum zur Kenntnis genommen, daß in der DDR Bilder, Graphiken, Plastiken und zu einem guten Teil auch Werke der angewandten Künste zunehmend einem dialogischen Prinzip entsprachen, das die Betrachter anregte, sich über ästhetische, weltanschauliche, historische, ethische oder philosophische Fragen zu verständigen. Die documenta verließ man demgegenüber meist ratlos oder ernüchtert desinteressiert. In einer soziologischen Studie wird z.B. nachgewiesen, daß 1972 in der VII. Kunstausstellung der DDR in Dresden mit 655000 Menschen dreimal mehr Besucher gezählt wurden als in der documenta 5 im selben Jahr in Kassel.3 Dieses Verhältnis änderte sich auch in den Folgejahren kaum.

1977 hatte man aber schon in stärkerem Maße verstanden, daß sich im Osten eine Kunst entwickelte, die sich in ihren Inhalten und Formen immer weniger von der Partei gängeln ließ und deren subjektive Prägungen mehr und mehr auch von einigen Funktionären verstanden wurden. Im Westen waren es vor allem Kunstkritiker wie Eduard Beaucamp und Eberhard Roters oder Museumsleute wie der damalige Direktor des Hamburger Kunstvereins Uwe M. Schneede, die Klischees abbauen halfen. So wirkten z.B. die Ausstellungen Willi Sittes (1975) und Wolfgang Mattheuers (1977) im Hamburger Kunstverein als wichtige Stationen auf dem Weg zur documenta 6.

Anerkennung und Protest

Die Einbeziehung der DDR in diese Schau war von den Veranstaltern – eingeordnet in den Realismusbereich – langfristig geplant. Im Komitee war darüber gestritten worden, doch im Juni 1977 wurde die Einladung bekanntgegeben. Der damalige documenta-Generalsekretär Manfred Schneckenburger hatte die vier Maler direkt eingeladen; die beiden Bildhauer kamen entsprechend dem Vorschlag der Maler hinzu. Insgesamt reagierte die Presse positiv, doch bis heute hält sich z.B. der schon damals geäußerte Verdacht, die DDR habe die documenta-Leitung erpreßt. Manche witterten mit der Teilnahme der Künstler aus der DDR eine Gefahr für die Freiheit der Kunst und sprachen von einem Skandal. Doch Schneckenburger stellte in der Zeitschrift pardon fest: »Bösartige Kritiker vermuten: DDR-Funktionäre schrieben uns vor, was zu zeigen wäre. Das stimmt ganz und gar nicht. Es gibt, die DDR betreffend, keine Gegenleistungen und keine Kunsttauschgeschäfte – das gehört nicht zum Konzept.«4

Nicht nur in der BRD gab es Vorbehalte gegenüber der DDR-Teilnahme; auch in der DDR stand man der documenta skeptisch gegenüber. Wie diese Hemmnisse mit viel diplomatischem Geschick überwunden werden konnten, stellt Gisela Schirmer in ihrem Buch »DDR und documenta. Kunst im deutsch-deutschen Widerspruch« auf beeindruckende Weise, mit umfangreicher Quellenkenntnis dar. Es gab damals auch schon ein großes Interesse an künstlerischen Entwicklungen in den sozialistischen Ländern, das aber erst nach dieser documenta durch die umfangreichen Aktivitäten des Kölner Kunstsammlers Peter Ludwig befriedigt werden konnte.

Willi Sitte erzählt in seiner Autobiographie, er und die anderen Maler seien zunächst aufgefordert worden, Arbeiten in anspruchsvollen Formaten einzureichen, weil man sie gleichberechtigt präsentieren wollte. Ein ganzer Seitenflügel des Fridericianums sollte zur Verfügung stehen. Am Ende wurden aber die Bilder wegen allgemeiner Raumnot in einem Durchgangsraum mit niedriger Deckenhöhe gehängt; die großen Formate reichten vom Fußboden bis zur Decke, und die Abstände zwischen den Werken waren so dicht, daß die Gesamtwirkung stark beeinträchtigt wurde.

Doch die Anerkennung durch die an dieser documenta Beteiligten und durch zahlreiche westliche Künstler war groß. Joseph Beuys, Wolf Vostell, Klaus Staeck, Nam June Paik und andere äußerten sich öffentlich erfreut über die Teilnahme von Künstlerkollegen aus dem Osten. Beuys ließ sich von Lothar Lang durch die DDR-Kollektion führen. Diese offene, kollegiale Haltung half auch, die nicht ausbleibenden Proteste in ihrer Wirkung zu schmälern. Der Hamburger Galerist Hannes von Gösseln drohte damit, alle seine Leihgaben zurückzuziehen, falls die Plastiken von Cremer und Jastram nicht entfernt würden. Am 22. Juni 1977 wurden in einer Pressekonferenz Flugblätter verteilt, in denen Georg Baselitz und Markus Lüpertz mitteilten, daß sie aus Protest gegen die »Überlastigkeit zugunsten der DDR-Vertreter« ihre Werke zurückgezogen hätten. Auch Ralf Winkler alias A. R. Penck forderte seine Arbeiten zurück. Doch Joseph Beuys, Eduard Beaucamp, der damalige Kasseler Oberbürgermeister und spätere Finanzminister Hans Eichel und viele andere setzten sich vehement für die DDR-Kollektion ein. Lothar Lang erinnert sich: »Der Versuch, (…) mit dem Hinweis auf die Beteiligung von sechs DDR-Künstlern ein politisches Feuerchen zu entfachen, ging im überwiegenden Wohlwollen für diesen ersten documenta-Auftritt der DDR unter. (…) Die Geschichte ist über diese Rankünen hinweggegangen. Auf die Entwicklung der Kunst hatten sie weder in West noch Ost einen Einfluß. Zu den Ergebnissen gehörte jedenfalls, daß die Kunst aus der DDR zunehmend zu einem Gesprächspartner im internationalen Kunstprozeß wurde.«5″ weiterlesen