Jedem seine Wirklichkeit. Der Begriff der Wirklichkeit in der Bildenden Kunst in Frankreich, Polen, der BRD und DDR der 1960er bis Ende der 1980er Jahre

Neues Forschungsprojekt am Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris unter der Leitung von Dr. Mathilde Arnoux

Zielsetzung des Projekts

Der Begriff der Wirklichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Schriften von Künstlern, Kritikern und Kunsthistorikern vom Beginn der 1960er bis Ende der 1980er Jahre. Umso erstaunlicher ist es, dass ein und derselbe Terminus mit gänzlich verschiedenen Praktiken verknüpft wurde, obgleich er in Abhandlungen über Kunst sowohl im Westen als auch im Osten verwendet wurde. Die verschiedenen Auslegungsarten des Begriffs der Wirklichkeit überschneiden sich bisweilen, als wolle man mit der Mehrdeutigkeit des Begriffes spielen, sich gleichzeitig aber auch in eine historiographische Tradition einfügen, indem die Kunstgeschichte von ihren Anfängen über die Fragen zur Mimesis und zur Objektivität, zur freien Wahl des Subjekts durch den Künstler und zur Position, die dieser der ihn umgebenden Welt gegenüber innehat, durchlaufen wird. So schwer fassbar die Wirklichkeit auch ist, der Begriff kann von jedem nach eigenem Ermessen  verwendet werden. Er füllt eine konzeptuelle Leerstelle, welche in bezeichnender Weise die Bedeutung, die diesem in den bildenden Künsten jener Zeit beigemessen wird, erkennen lässt. Der polymorphe, facettenreiche Begriff der Wirklichkeit war bisher noch nie Gegenstand einer vertieften Auseinandersetzung mit der Bildenden Kunst der 1960er bis Ende der 1980er Jahre oder gar eines Forschungsprojekts über die Beziehung zwischen den „Wirklichkeiten“ im Westen und Osten unter Berücksichtigung des ideologischen Kontexts des Kalten Kriegs. Indem die beiderseits des Eisernen Vorhangs geschaffenen Werke untereinander in Zusammenhang gebracht werden, sollen tradierte Lesarten reflektiert werden, nicht um sie genau ins Gegenteil zu verkehren, sondern um eine jene Nuancen herauszuarbeiten, die die strikte Teilung in zwei gegensätzliche Blöcke aufzubrechen vermögen. Indem ein und derselbe Begriff am Beispiel verschiedener Interpretationen im künstlerischen Umfeld Frankreichs, der BRD, der DDR und Polens hinterfragt wird, zielt das Projekt darauf, Fragen zum Austausch, zu Missverständnissen und Gemeinsamkeiten zwischen diesen Ländern vom Ende des Stalinismus bis zum Zusammenbruch des Ostblocks zu bearbeiten.

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Krimi um ein verschollenes Bild

Die Merseburger Willi-Sitte-Galerie zeigt die Entstehung des Gemäldes „Lidice“

Neues Deutschland vom 12.09.2011: „Diese Ausstellung lässt sich auch als Krimi lesen. Vor der Frage nach Tätern steht dabei die Frage im Zentrum, wie es gelingen kann, ein zwölf Quadratmeter großes Gemälde spurlos verschwinden zu lassen. Dreieinhalb mal knapp dreieinhalb Meter groß war »Lidice«, ein 1959 beendetes Bild, in dem der Hallenser Maler Willi Sitte das SS-Massaker in dem gleichnamigen böhmischen Dorf verarbeitete. Am Ort dieser Tragödie, bei der am 9. Juni 1942 als Rache für das Attentat auf NS-Statthalter Heydrich alle männlichen Bewohner des Bergarbeiterdorfs ermordet wurden, sollte das Bild ab 1962 in einem Museum ausgestellt werden. Doch es kam in Lidice nie an – und ist bis heute verschollen.

Das Verschwinden hat den kuriosen Umstand zur Folge, dass in der Ausstellung »Lidice und die Freiheit der Malerei« das namensgebende Werk nur als Fotografie in Schwarz-Weiß zu sehen ist. Doch das Haus auf dem Merseburger Domberg lässt anhand zahlreicher im Original erhaltener Studien und Skizzen den Weg nachvollziehen, auf dem sich Sitte dem Thema näherte, das ihn tief bewegte – zum einen, weil er in Böhmen gebürtig und weitläufig mit Bewohnern Lidices verwandt war; zum anderen, weil er als Wehrmachtssoldat Spuren ähnlicher Massaker selbst hatte sehen müssen.

Zu den Vorzügen der Ausstellung gehört dabei, dass sie sich nicht auf Sittes Beschäftigung mit dem Thema Lidice beschränkt, sondern auch zeigt, wie dieser sich schon in den Jahren davor in teils großformatigen Werken mit historischen Themen befasste. Dazu gehört das 1942/43 entstandene Bild »Die Schlacht bei Liegnitz«, das sich in der Gruppierung der Figuren und der Darstellung der Krieger noch an da Vinci und Velázquez orientierte. Einige der in Merseburg erstmals zu sehenden Skizzenbücher Sittes zeigen fast altmeisterlich anmutende Studien von Pferden in wilder Bewegung. Sie finden sich im Getümmel auf dem Gemälde wieder, das eine Schlacht zwischen Mongolen und einem deutsch-polnischen Heer von 1241 zum Thema hat.

Weniger Schlachtenlärm als vielmehr die Stille nach den Schüssen spricht aus dem ebenfalls großformatigen Bild »Völkerschlacht« von 1953, in dem Sitte deutlich die Verwüstungen nach den Gefechten sowie deren Opfer in den Vordergrund stellt. Noch weiter zugespitzt wird diese Perspektive wenig später in »Lidice«, dessen Form an die eines Altarbildes angelehnt ist: Das Bild ist ein Diptychon mit querliegender Predella. Dieser untere Raum ist den Toten vorbehalten. Einer der Flügel zeigt die Täter: rauchende, fotografierende, gesichtslos dargestellte Soldaten. Der zweite Flügel zeigt eine der Frauen von Lidice, die das KZ überlebt hat und an den Ort des Schreckens zurückgekehrt ist. “ weiterlesen

Willi Sitte: Lidice und die Freiheit der Malerei. Bis 31. 12. in der Willi-Sitte-Galerie Merseburg.

Gisela Schirmer: Willi Sitte – Lidice. Historienbild und Kulturpolitik in der DDR. Dietrich Reimer Verlag 2011.

Versteinerter Reiter – Druckgrafik aus dem Kunstarchiv Beeskow

Muzeum Lubuskie im Jana Dekerta, Zespół Willowo-Ogrodowy, ul. Warszawska 35, Gorzów Wielkopolski

14. Oktober – 30. November 2011

Eröffnung: 14. 10. 2011, 17 Uhr

Mit der Ausstellung im Muzeum Lubuskie in Gorzów, der größten Stadt der Wojewodschaft Lebus, will das Kunstarchiv Beeskow auf die künstlerische Qualität seines umfangreichen Grafikbestandes aufmerksam machen. Er enthält rund 13.000 Druckgrafiken von knapp 1.000 Künstlerinnen und Künstlern, die zwischen 1949 und 1989 in der DDR gelebt und gearbeitet haben. 2010 wurden in der Burg Beeskow erstmals künstlerische Porträts aus der Sammlung „Krąg Arsenału“ des Museums Lubuskie gezeigt. Mit der zweiten Ausstellung soll der gemeinsame Wille zu einer dauerhaften deutsch-polnischen Zusammenarbeit erneut manifestiert werden.

Der Titel der Ausstellung „Versteinerter Reiter“ bezieht sich auf eine Lithografie des Künstlers Arno Rink. Sie ist das Resultat einer intensiven Beschäftigung mit Pablo Nerudas 1948/49 in Chile geschriebenem Poem „Großer Gesang“. Die Grafik lässt sich als bildkünstlerische Übersetzung für die poetisch verdichtete Sprachwelt und Sprechweise Nerudas werten. Der „Versteinerte Reiter“ ist eine autonome Gestalt, die unterschiedliche Assoziationen weckt und eigensinnig wirkt im Vergleich zu den vorgefertigten und allzu vordergründigen Bilderwelten. Sie dokumentiert mit ihrem Entstehungskontext die besondere Rolle der künstlerischen Grafik in der DDR.

Die intensive Hinwendung zur künstlerischen Grafik begann Anfang der 1950er Jahre in Leipzig mit einer Gruppe junger Hochschulabsolventen, darunter Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Gerhard Kurt Müller und Werner Tübke. Die Ausstellung zeigt grafische Arbeiten von diesen wichtigen Lehrern der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig sowie ihren Nachfolgern und damit sehr verschiedene künstlerische Handschriften. Zu sehen sind aber auch grafische Werke aus den künstlerischen Zentren in Dresden, Halle und Berlin.

Seit den 1970er Jahren genoss die Grafik in der DDR eine sehr hohe Wertschätzung, sie hatte über die Jahre spürbar an Popularität gewonnen. Die individuelle Nutzung von Druckpressen eröffnete den Künstlern einen Freiraum für Kunstäußerungen, der ansonsten durch die staatliche Kontrolle der Medien und Druckereien im Land offiziell nicht gegeben war. Auch Sammler und Ausstellungsbesucher hatten ihre politischen wie künstlerischen Sichtweisen weiter entwickelt und differenzierte Lesarten ausgeprägt, um der anspruchsvollen Grafik ästhetisch zu folgen. In den 1980er Jahren versuchten vor allem jüngere Künstler wie Falko Behrendt, Lutz Dammbeck, Gerd Mackensen und Otto Sander Tischbein fernab von thematischen Vorgaben und ausgefahrenen ästhetischen Gleisen eine eigene künstlerische Sprache zu entwickeln, bei der die Hinwendung zu sehr persönlichen Sichtweisen und die Einbeziehung neuer Medien zu beobachten ist.

Trotz formaler Gleichberechtigung und gleichwertiger künstlerischer Qualifikation spielten Frauen im Kunstbetrieb der DDR eine untergeordnete Rolle und fanden nicht die gebührende Anerkennung. Betrachtet man aber die Grafiken von einzelnen Künstlerinnen wie Linde Bischof, Petra Flemming, Ingrid Goltzsche, Sabina Grzimek, Núria Quevedo oder Charlotte Pauly genauer, dann zeigt sich, dass gerade diese emotional sehr spannungsgeladene und subtil in die Tiefe gehende Bildsprache die akademische Gattung der Grafik um ein Vielfaches bereichert hat.

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Maler und DDR-Preisträger Willi Neubert ist tot

Im Alter von 90 Jahren starb der Künstler nach schwerer Krankheit in einer Klinik im Harz. Bekannt wurde er mit seinem Werk „Gestern – Heute“.

Hamburger Abendblatt vom 11.08.2011: „Thale/Magdeburg. Trauer um den DDR-Maler und Kunst-Professor Willi Neubert. Der Künstler starb am vergangenen Sonntag im Alter von 90 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit in einer Klinik in Ballenstedt im Harz. Das gab sein Schwiegersohn am Donnerstag nach einem Bericht der „Mitteldeutschen Zeitung“ bekannt. Neubert lebte in Thale im Harz und war Nationalpreisträger in der DDR. Bekannt sind unter anderem das Werk „Gestern – Heute“ für den Palast der Republik in Berlin. Seine Werke tragen Titel wie „Parteidiskussion“, „Stahlwerker“, „Kinderferienlager“ oder „Neubausiedlung“ und „Klubtanzabend“. Die großformatigen Bilder waren an zahlreichen öffentlichen Gebäuden der DDR zu sehen und zeigten ein Idealbild des Sozialismus‘.“ weiterlesen

Sitte und Co ziehen in die „Galerie Bilderstreit“

Werke der DDR-Kunst werden im Schloss Biesdorf gesammelt

Berliner Zeitung vom 25.08.2011: „Werke des frühen Neo Rauch, von Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer und anderer Maler werden künftig im Schloss Biesdorf gezeigt. Denn die spätklassizistische Türmchenvilla an der Straße Alt-Biesdorf wird bis Ende 2014 aufgestockt und zur „Galerie Bilderstreit“ umgebaut. Gezeigt werden dort Werke der DDR-Kunst, die zurzeit in den Depots von Burg Beeskow in Brandenburg lagern. Gestern überbrachte Kulturstaatssekretär André Schmitz den Förderbescheid über 3,75 Millionen Euro aus EU-Mitteln für den Umbau. Die Lottostiftung hatte 3,5 Millionen Euro bereitgestellt, vom Bezirk kommen 250 000 Euro.

Eine „in der ganzen Bundesrepublik einzigartige Galerie“ werde entstehen, sagte Schmitz. In dem denkmalgeschützten Schloss, dessen zweite Etage in den letzten Kriegstagen 1945 zerstört wurde, sollen Bilder, Grafiken, Fotografien und Plastiken gezeigt werden, die als sogenannte Auftragskunst in der DDR entstanden, ehemaligen volkseigenen Betrieben (VEB) gehörten oder Parteien und Massenorganisationen. Rund 23 000 Werke, die Eigentum der Länder Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sind, lagern im Archiv von Burg Beeskow. Die wenigsten sind bisher öffentlich zu sehen, in Beeskow gibt es kaum Ausstellungsfläche. „Schloss Biesdorf wird unser Schaufenster in Berlin“, sagt Archivleiterin Ilona Weser, die sich über die Kooperation freut.

Auf rund 1500 Quadratmeter Fläche sollen eine Dauerausstellung, aber auch kleinere, regelmäßig wechselnde Schauen gezeigt werden, sagt Kuratorin Simone Tippach-Schneider, die für den Bezirk ein Konzept für die Galerie entwickelt. Es werde auch Vorträge und Diskussionen geben: „Das wird ein spannender Ort, eine Stätte der Auseinandersetzung.“ Nicht von ungefähr laute der Name der Galerie schließlich „Bilderstreit“ – eine Reminiszenz an den Streit 1990 um die DDR-Kunst, aber auch an die Auseinandersetzungen in den 1950er-Jahren um die sogenannte moderne und die gegenständliche Malerei.“ weiterlesen

Bilderstreit im Schloss

Siemens-Villa soll überregional bedeutsame Galerie für DDR-Kunst werden

jotwede-online vom September 2011: „Biesdorf – Werke von Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer, Otto Nagel, Walter Womacka, des frühen Neo Rauch und vieler anderer Maler und Grafiker aus der DDR sollen ab Ende 2014 im Schloss Biesdorf ausgestellt werden. Denn nun sind die finanziellen Mittel für einen Plan bereitgestellt worden, den es seit den 50-er Jahren immer mal wieder gab und der in den vergangenen zehn Jahren von der Stiftung Ost-West-Begegnungsstätte Schloss Biesdorf e.V. zielstrebig verfolgt wurde: der Wiederaufbau des in den letzten Kriegstagen zerstör ten Obergeschosses der spätklassizistischen Turmvilla an der Straße Alt-Biesdorf. Das Konzept, hier eine Galerie von überregionaler Bedeutung mit Werken der Bildenden Kunst aus der DDR zu etablieren, die derzeit noch in den Depots der Burg Beeskow (Brandenburg) lagern, schuf die Voraussetzung für die erfolgreiche Akquirierung der nicht unbeträchtlichen finanziellen Mittel für den Umbau des Schlosses. Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) erlaube im Zusammenhang mit der Einrichtung einer Galerie „Bilderstreit“ den denkmalgerechten Wiederaufbau des Schlosses Biesdorf, heißt es beim Senat.

3,5 Millionen Euro hatte Berlins Lottostiftung bewilligt, 250 000 Euro stellt das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf, das nun auch Bauherr ist, zur Verfügung. Die noch fehlenden Mittel in Höhe von 3,75 Millionen Euro wurden jetzt von der Senatskulturverwaltung beigesteuert. Sie stammen aus dem Kulturinvestitionsprogramm des Senats, das der Entwicklung kultur touristischen Potentials gewidmet ist und aus EFRE-Mitteln gespeist wird. Am 24. August überbrachte Kulturstaatssekretär André Schmitz den Förderbescheid. „Hier wird ein Museum entstehen, das ein Alleinstellungsmerkmal hat, eine in der ganzen Bundesrepublik einzigartige Galerie“, sagte Schmitz. Und Finanzstadtrat Stefan Komoß sprach von einem „Leuchtturmprojekt für den Bezirk und für Berlin, das viele überregionale Besucher in den Bezirk bringen und einen Beitrag zur positiven Wahrnehmung leisten wird“.“ weiterlesen

Rez.:Gisela Schirmer: Willi Sitte – Lidice. Historienbild und Kunstpolitik in der DDR

Rezensiert von Gerd Dietrich, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Suche nach verlorenen Bildern ist ein altes Thema der Kunstgeschichte. Dass diese auch für die neuere Zeitgeschichte relevant ist, wird von Gisela Schirmer beeindruckend und spannend vorgestellt. Sie ist mit ihrer soliden und differenzierenden Darstellung dem Geheimnis eines verschwundenen Tryptichons von Willi Sitte auf die Spur gekommen, aufgefunden hat sie es leider nicht. Sie vermutet, „dass der Geheimdienst das Bild verschwinden ließ, entweder aus eigenem Interesse oder auf Veranlassung von Gegnern der Transaktion aus Ostberlin.“ (S. 127) Gleichwohl wird das großformatige Werk mit diesem Buch gewissermaßen neu entdeckt und dem Kunst- und Geschichtsinteressenten so plastisch vor Augen geführt, dass er selbst zur detektivischen Arbeit angeregt wird. Gisela Schirmer dokumentiert ausführlich die Vorgeschichte des Gemäldes „Lidice“, das im Jahr 1959 entstand, seinen künstlerischen Entstehungsprozess, seine Bedeutung für einen der wichtigsten bildenden Künstler der DDR, wie ebenso dessen schwierige Lebens- und Schaffensphasen in den 1950er-Jahren und dessen Demütigungen durch die bornierte und kleingeistige Formalismusdebatte. So gelingt es Gisela Schirmer, ein Stück deutsche Kulturgeschichte zu schreiben, herauszuarbeiten, welche Vorstellungen der Antifaschist und Kommunist Willi Sitte mit dem Thema Lidice verband, was ihn beim Malen bewegte und mit welcher Dummheit die selbsternannten Parteiführer ihm begegneten. Zugleich wird von ihr nachgewiesen, dass die 1996 gezogene Schlussfolgerung, unter anderem von Hubertus Gaßner, über Willi Sittes angebliche Überarbeitung des Gemäldes nicht nur oberflächlich, sondern schlicht falsch war.

All das gelingt Gisela Schirmer auf eine sehr sympathische und unaufgeregte Art, indem sie systematisch vorgeht. Nachdem der Leser in der Einleitung erfährt, dass ein 12 Quadratmeter großes Dreitafelbild bei der Übergabe als Geschenk an das Museum in Lidice anlässlich des 20. Jahrestages des unter dem Kommando der SS verübten Massakers 1962 einfach „verschwunden“ ist, stellt sie zunächst einmal die gesamte künstlerische Entwicklung Willi Sittes im Kontext mit der spezifischen deutschen Geschichte in großen Zügen dar, reiht das verschwundene Bild in die Serie anderer Historien- und Schlachtenbilder ein und zeigt auch an ausgewählten Beispielen den streitbaren und widerständigen Künstler Sitte. Es folgen auf 66 Seiten die 82 Schwarz-Weiß- und 22 Farb-Abbildungen, die unverzichtbar für das Verständnis dieses Gemäldes sind. An dieser Stelle wird das wissenschaftliche Buch von Gisela Schirmer zum begleitenden Katalog der in Merseburg gezeigten meisterhaften Seiten aus Skizzenbüchern, Studien, Vorzeichnungen und Gemälden zum Thema „Lidice“.

Auf Seite 105 steigen wir wieder in die aufregenden historischen Details ein. Gestützt auf gründliche und umfangreiche Archivstudien wird die Entstehungsgeschichte des monumentalen Bildes nachgezeichnet, das Kreuzfeuer der politischen und ästhetischen Angriffe gegen das Kunstwerk vorgestellt, das Spannungsfeld zwischen Ostberlin und Prag sowie die Zwischenstation in der Moritzburg in Halle bis zum Verschwinden des Gemäldes dokumentiert. Die gehaltvolle und kluge Darstellung enthält einerseits fundamentale Aussagen zum gelebten Antifaschismus Sittes, sie entfaltet andererseits seine künstlerische Herkunft von den alten Meistern und seine Auseinandersetzung mit der Moderne, insbesondere mit Leger und Picasso.[1] Und sie geht zum Dritten intensiv auf Willi Sittes künstlerisches Ringen ein, Tod und Massaker, Opfer und Täter, Weiblichkeit und Männlichkeit, Überlebende und Hoffende in Bilder umzusetzen. weiterlesen

Kunst aus der DDR II: Künstler ehren Künstler

Galerie in der Burg, Fleckenstraße 41, 37345 Großbodungen (Eichsfeld)

4. September – 20. November 2011

Aufgrund des großen Erfolges von „Kunst aus der DDR 1: Meistergraphiken einer privaten Sammlung“ im Jahre 2009 folgt nun eine weitere Ausstellung mit Werken aus einer privaten Sammlung vom 4. September bis 20. November 2011. Im Mittelpunkt von „Kunst aus der DDR II“ steht die Künstlerhommage. Im Bildtypus der Künstlerhommage verbinden sich zwei Anliegen: Andenken an den geehrten Künstler und sinngebende Selbstdarstellung der eigenen künstlerischen Arbeit. Erstmals wird eine Auswahl aus eindrucksvollen druckgrafischen Sammelwerken einer privaten Sammlung, die sich der Künstlerhommage widmen, in einer Ausstellung gezeigt. Die Künstlerhommagen entstanden in den Jahren 1969 bis 1990. Mit je einer Grafiksammlung werden geehrt: Johann Sebastian Bach (1685-1750), Ernst Barlach (1870-1938), Max Beckmann (1884-1950), Hermann Glöckner (1889-1987), Vincent van Gogh (1853-1890), Charlotte E. Pauly (1888-1981) und Raffael (1483-1520). Einer Reihe bekannter Künstler aus der DDR widmet sich eine weitere Sammlermappe. Studien renommierter Musiker und Dirigenten aus dem Leipziger Gewandhaus runden die Grafikauswahl ab. Mit der Van-Gogh-Mappe wurde eine Sammlung aufgenommen, an welcher in der Übergangszeit 1989/90 ost- und westdeutsche Künstler gleichermaßen beteiligt waren. In unserer Ausstellung sind Graphiken von 46 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen. Wie in unserer Schau „Kunst aus der DDR I“ im Jahre 2009 liegt auch dieser Folgeausstellung die Intention zugrunde, daß Kunst aus der DDR zum gesamtdeutschen Erbe gehört und Teil der deutsch-deutschen Kunstgeschichte von 1945 bis 1989 ist. Unsere aktuelle Ausstellung versucht erneut eine gleichberechtigt integrierende Sicht auf das deutsch-deutsche Kunstschaffen. Die Ausstellung will sichtbar machen, dass in der DDR eine differenzierte Vielfalt des künstlerischen Ausdrucks möglich war. Die gezeigten Künstlerhommagen reflektieren dies in eindrucksvoller Weise. Unser besonderer Dank gilt einem privaten Kunstsammler, aus dessen reichem Fundus wir erneut schöpfen durften. Künstler in unserer Ausstellung: Gerhard Altenbourg, Theo Balden, Wolfgang Barton, Roland Berger, Rolf Blume, Manfred Böttcher, Luitgard Borlinghaus, Carlfriedrich Claus, Andreas Dress, Dieter Goltzsche, Sabine Grzimek, Ulrich Hachulla, Gisela Hachmann, Andreas Hegewald, Rosemarie Heinze, Johannes Heisig, Michael Hengst, Karl-Georg Hirsch, Elke Hopfe, Joachim Jansong, Joachim John, Gregor Torsten Kozik, Roland Meinel, Harald Metzkes, Michael Morgner, Rolf Münzner, Wolfgang Nickel, Ronand Paris, Charlotte E.Pauly, Wolfgang Peuker, Arno Rink, Frank Ruddigkeit, Werner Schaub, Arnd Schultheiss, Roger Servais, Volker Stelzmann, Werner Stötzer, Inge Thiess-Böttner,Werner Tübke, Max Uhlig, Claus Weidensdorfer, Jürgen Wenzel, Heinz Zander, Baldwin Zettl, Horst Zickelbein.

Die Ausstellung wird anschließend an folgenden Orten gezeigt: 4.12.2011 bis 31.01.2012: Museum Pachem: Deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts / Rockenhausen (Rheinland-Pfalz); 12.05. bis 12.08.2012 Schloss Pulsnitz (Sachsen) Ernst-Rietschel-Kulturring e.V.

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aus der Presse

Kunst am Bau in der DDR

Projekt Genossenschaft Kunst am Bau, Gostritzer Straße 10, 01217 Dresden

10.  – 25. September 2011

Die Kunst am Bau der DDR wird verstärkt mit Wandbildern an ihren ehemaligen Repräsentationsbauten in Verbindung gebracht. Wesentlich mehr Kunst entstand aber beim Bau großer Wohngebiete, besonders in den 70er und 80er Jahren sowie in Betrieben und bei der Wiedererrichtung von Innenstadtstrukturen Ende der 80er Jahre. Über 30 Jahre waren Karl-Heinz Adler, Dieter Graupner, Friedrich Kracht, Johannes Peschel, Egmar Ponndorf, Siegfried Schade, Bärbel Schulz (bis 1985), Rudolf Sitte (bis 1979), Wolff-Ulrich Weder in der Genossenschaft verbunden. Ihnen gehörte neben dem Atelierhaus auch das Grundstück.

Obwohl ihre künstlerischen Ausdrucksformen sehr unterschiedlich waren, konnten sie die Werkstattsituation für gemeinschaftliche Projekte nutzen, die wiederum bei den Auftraggebern sehr gefragt waren.

Die Ausstellung zeigt erstmals eine nicht mehr sichtbare Seite der architekturbezogenen Kunst in der DDR. In besonderer Weise war „Kunst am Bau“ der staatsideologischen Selbstdarstellung und somit einer speziellen Praxis der Auftragsvergabe unterworfen, an der eine Vielzahl gesellschaftlicher und politischer Gremien beteiligt war. Stadtumbau nach der Wiederherstellung der Deutschen Einheit und andere Faktoren führten dazu, dass die Kunst am Bau als Zeugnisse dieser Zeit mehr und mehr verschwanden. Eine systematische Erfassung der Kunst-am-Bau-Objekte gibt es weder in den alten noch in den neuen Bundesländern. Viele Dokumente über die Auftragsabwicklung im Bereich der architekturbezogenen Kunst sind in den neuen Bundesländern nach der Wende verloren gegangen.

Der Umsicht von Friedrich Kracht und seiner Familie ist es zu danken, dass die Auftragsbücher und die Auftragsunterlagen der Genossenschaft „Kunst am Bau“ erhalten blieben. Der Bestand ist in Art, Umfang und seiner Vollständigkeit einzigartig. Diese Ausstellung zeigt eine Auswahl von Arbeiten in den Ateliers, in denen die Künstler auch damals gearbeitet haben.

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„Matthias“ BAADER Holst (1962-1990)

– all die toten albanier meines surfbretts –

Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Str. 10, 10999 Berlin

9. September – 2. Oktober 2011

Eröffnung: 8. September 2011, 19 Uhr

„Matthias“ BAADER Holst war einer der interessantesten Untergrundpoeten der DDR. Er arbeitete als Poet, Zeichner, Filmemacher, Herausgeber und Performer. Letztlich war er im Rückblick wohl der einzige reale PunkDadaist der DDR. Er hat bis heute einen nachhaltigen Eindruck bei Literaten, Musikern und Künstlern aus der ehemaligen DDR hinterlassen. Durch seinen frühen tragischen Tod ist sein Werk leider nicht ausreichend bekannt geworden. Seine Komplexität und Dichte hat bis heute nichts an Kraft und Bedeutung verloren. So ist eine zusammenfassende Ausstellung aller Aspekte seines Werkes eine Wiederentdeckung und Neuvorstellung zugleich. Es erlaubt einen Blick in eine unbekannte andere Kultur in der DDR.
Die erste erfolgreiche Ausstellung zum Werk von BAADER Holst fand 2010 im Stadtmuseum Halle statt. Im Februar 2011 setzte sich die Ausstellung in der Roten Fabrik in Zürich innerhalb eines Dadafestivals fort. Aktuell wird sie nun im Künstlerhaus Bethanien zu sehen sein – gezeigt werden Fotos, Filme, Interviews und Klangwerke mit und zu BAADER. Bücher, Editionen, Archivalien, Manuskripte und Zettel geben einen Einblick in Arbeit und Leben BAADERs. Die Ausstellung soll BAADER in der Strategie seiner Arbeit vermitteln und ihn so aktuell zugänglich, erlebbar und neu gebrauchbar machen.

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