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Maren Donix

Albert Ebert, Morgentoilette (1955)

© VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Dem Betrachter wird in ‚Morgentoilette‘ der Blick in den Innenraum einer Stube gewährt. In diesem Raum befinden sich zwei leicht bekleidete Frauen und eine voll bekleidete Person, die zur Hälfte durch einen Vorhang verdeckt wird. Die Hosen und die Oberbekleidung, beide schwarz, mit weißen Knöpfen, erinnern an eine Uniform. Der Mann hat seine Beine lässig übereinander geschlagen und sich auf den Tisch aufgestützt. Er scheint entspannt der Szenerie zuzusehen, vielleicht auf die Damen zu warten. Diese sind dabei, ihre Morgentoilette zu verrichten. Im Hintergrund sitzt eine junge Frau vor einem Wandspiegel und fasst ihr blondes, fein gelocktes Haar zu einem Zopf zusammen. Sie ist mit einem transparenten Unterrock, einem Mieder aus weißer Spitze und rot leuchtenden Pantoffeln bekleidet. Das Mieder hebt ihren Busen und betont damit ihre Weiblichkeit. Im Wandspiegel wird diese Darstellung wiederholt und erfährt damit eine besondere Betonung. Die Blickrichtung der jungen Frau wird nicht der Wirklichkeit entsprechend gespiegelt; vielmehr scheint ihr Abbild selbige aus der Spiegelfläche heraus anzuschauen. Die Dame selbst richtet ihren Blick aus dem Bild heraus, dem Betrachter entgegen. Ihre Haut ist, passend zum blonden Typ, blass und zart, die Wangen leicht gerötet. Die andere junge Frau ist, bis auf eine Unterhose, vollkommen unbekleidet und wäscht ihre Hände in einer Schüssel. Die breiten Dielen und die Schlichtheit des Interieurs zeugen von bescheidenen, städtischen Lebensumständen.[1] Der Raum ist dennoch nicht kühl, sondern wohnlich und liebevoll eingerichtet. Auch, dass die Sich- Waschende trotz ihrer Nacktheit leuchtend rote Hausschuhe trägt, erweckt den Anschein von Sorgsamkeit und betont das Detail. Mit dieser Dame wird dem Betrachter ein komplementärer Typus von Weiblichkeit präsentiert. Zwar hat auch sie die körperlich weichen Rundungen wie die Frau im Hintergrund, ist aber mit ihren langen dunklen Haare, die ungezähmt in wilden Locken den Rücken herunter fallen, ihrem dunklen Teint und ihrem klar konturierten, feingliedrigen Gesicht ein ganz anderer Frauentyp. Anders als die Blonde nimmt diese Frau keinen direkten Blickkontakt mit dem Betrachter auf. Sie schaut versonnen nach rechts, in die Richtung, in der der Vorhang den Mann zum Teil verbirgt.

Für den Betrachter ist, bis auf dieses Detail, alles im Bild einsehbar. Der Blick auf die jungen Frauen ist direkt und unverstellt, die räumliche Anordnung der Gegenstände klar einzuordnen, auch wenn nicht an allen Stellen von einer mathematisch korrekten Perspektive gesprochen werden kann.[2] Der Rahmen des Bildes gehört bei diesem Werk zum Konzept, denn er setzt durch die dunkel gestrichene Leiste innerhalb des weißen Rahmens einen zusätzlichen Akzent und lenkt den Blick des Betrachters in die Tiefe und Räumlichkeit des Bildes hinein. Der Betrachter konzentriert so seine Wahrnehmung ganz auf den Innenraum und die kleine Szene.

Der Malweise Eberts ist eine solide und ehrfürchtige Auffassung vom Umgang mit dem Material deutlich abzulesen. Sorgsam arbeitete er mit deckender Ölfarbe auf einer mit Kreide grundierten Hartfaserplatte. Dabei gestaltete er die großen Flächen farblich fein nuanciert. Der Pinselduktus verrät die Arbeit mit überwiegend kleinen, flachen Pinseln und eine zeitaufwendige, ruhige Arbeitsweise. Die Körper der Mädchen stellte der Künstler in ihrer Nacktheit leicht plastisch dar, indem er sie zart in abgemischten Tönen des Inkarnatgrundtones modellierte. Für die Farbwahl im Werkist festzustellen, dass der Künstler aus einer breiten, fein abgestimmten Palette schöpfte. Das leuchtende, aber sparsam eingesetzte Rot der Schuhe korrespondiert mit den Blüten auf dem Tisch und den Ketten auf dem kleinen Schrank neben dem Spiegel. Außerdem wird der Farbton abgeschwächt, aber sehr harmonisch im Unterrock der blonden Frau wieder aufgenommen, der gleichzeitig einen farblichen Höhepunkt in der Komposition des Bildes darstellt und zwischen den reinen Rottupfern vermittelt. Im Kontrast zu diesen rötlichen Elementen gestaltete Ebert den Bildvorder- und Mittelgrund in komplementären, lindgrünen Tönen und die tiefer im Raum liegenden Wände des Zimmers in einem kühlen, bläulichen Ton. Außerdem verwendete er verschiedene Nuancen von Brauntönen, um die Farbgebung des Mobiliars, der Fenster, der dunklen Haare und des Dielenbodens im Sinne ihrer reellen Beschaffenheit wiederzugeben.

Die Intimität der Szene wird durch die vorsichtige und gewählte Pinselführung, die sachlich genaue, aber nicht sklavisch anatomische Gestaltung der Körper und durch die sympathisch imperfekte Raumdarstellung gesteigert. Es ist aber nicht nur die Darstellung einer in sich ruhenden Atmosphäre, denn die halb verdeckte Figur am rechten Bildrand bringt eine eigentümlich unberechenbare Größe in das sonst so benennbare Bildgeschehen. Ganz natürlich und ungezwungen ist das alltägliche Ritual des Waschens und Frisierens dargestellt. Das gegenseitige Vertrauen zwischen den dargestellten Personen muss groß sein und der Betrachter fragt sich, in welchem Verhältnis sich die Menschen zueinander befinden. Der Blick in die privaten Gemächer wird zum Anlass, über Familienstrukturen zu reflektieren und jedes Detail des Raumes in diese Überlegungen einzubeziehen. Stellt das Bild neben dem Spiegel, in dem man schemenhaft einen Uniformierten zu erkennen meint, den Mann am Tisch dar? Entspannt zurückgelehnt scheint von dem Unbekannten keine Bedrohung auszugehen. Die Frauen fühlen sich durch seine Blicke nicht in Eile oder Unruhe versetzt. Vielmehr erschafft Ebert für diese Szene einen Kavalier, dessen Umgang in der hier dargestellten Form bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts in bürgerlichen Kreisen üblich war.[3]

Der Betrachter schaut durch den breiten Rahmen in eine Szene des Alltags, der unwirklich und zugleich poetisch, wie der Blick in eine Puppenstube erscheint. Durch das kleine Format und die enge Bezogenheit der Personen untereinander wird der Betrachter zum Voyeur. Wenn es für den intimen Ausdruck in den Gemälden von Nehmer und Hakenbeck konstituierend ist, die Bildfigur nah an den vorderen Bildbereich heranzuholen und einen körperlichen, wahrnehmbaren Bezug zum Standpunkt des Betrachters zu schaffen, so kann bei Ebert das Gegenteil behauptet werden. Der Betrachter bleibt ein Außenstehender, er wird zum Publikum und durch diese Position zur Reflexion angeregt. Der schon in ‚Mädchen in Rammenau‘ besprochene voyeuristische Aspekt kommt in diesem Gemälde deutlich und in reiner Form zum Tragen. Der Vorhang im Vordergrund trennt den Betrachter deutlich vom Raum des Werkes, versucht eine Teilhabe kokett zu verhindern und vermittelt so das Gefühl des Fremdseins in einer höchst intimen Situation. Zusätzliche Spannung bringt Ebert durch die verdeckte Person mit ins Spiel, die aber keine dramatische, sondern eher eine ironische Konnotation aufweist. „Aber ironisch, das ist eigentlich zuviel gesagt, ´ne heitere Note will ich´s nennen“[4] meint der Künstler dazu selbst.

Anmerkungen

[1] Umstände, welche Ebert seiner eigenen Lebenswirklichkeit entnommen haben könnte. „Schon die neben einem Wäscheboden gelegene Herberge in der Reilstraße war eine Mischung aus Luftschloß, Schlafgemach und karger Behaglichkeit, geeignet, daß sich ein Mythos darum rankte. Weder die Wasserleitung des Hauses noch die Kanalisation reichte bis unters Dach; alles mußte in Eimern hinauf- und herunter getragen werden.“ (zit. nach: Jansen, Elmar: Der Rousseau von Halle. Ein Versuch zur Einstimmung auf Albert Ebert und sein Kabinett. In: Brade, Helmut (Hrsg.): Guten Abend Albert. Ein Gruß des Kuratoriums Albert Ebert an sein Kabinett in der Moritzburg. Halle an der Saale 2009, S. 13-31, S.28).

[2] Der Tisch ist beispielsweise in Bezug zur Flucht der Dielenfugen zu sehr in einer Draufsicht gemalt. Außerdem ist die Zimmerecke in ihrer Gestaltung zur Decke nicht überzeugend rechtwinkelig, sondern eher als ein stumpfer Winkel zu beschreiben.

[3] Vgl. Thiel, Erika: Geschiche des Kostüms – Die europäische Mode von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin 1963, S. 422.

[4] Albert Ebert; zit. nach: Thiel, 1963 (wie Anm. 3), S. 76.

Zitierempfehlung: Maren Donix : Bilddossier zu "Morgentoilette" (1955) von Albert Ebert, August 2012. In: Kunst in der DDR, URL: <https://www.bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/639>

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)