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Sighard Gille: Elternbildnis (1974)

© VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Geb. am 25.2.1941 in Eilenburg. 1959 Abitur, anschließend bis 1960 Studium der Agrarwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin, danach Arbeit in Leipzig mit Qualifizierung als Fotograf und Tätigkeit als Bildreporter. 1965-70 Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst bei B. Heisig und W. Mattheuer, danach freischaffend. 1973-76 Meisterschüler an der Akademie der Künste der DDR bei B. Heisig.

Zu den Leipziger Nachwuchskünstlern, die 1972 auf der VII. Kunstausstellung der DDR durch gesellschaftliches Engagement und unverstellte Sicht der Realität auffielen, gehörte auch Sighard Gille mit seinem Bild „Brigade Heinrich Rau“. Den hier eingeschlagenen Weg verfolgend, malte er thematisch so anspruchsvolle Bilder wie „Wessen Morgen ist der Morgen“ und die ironische Glosse „Autofahrer“, daneben die üblichen Gattungen wie Akt, Stilleben und Landschaft. Wesentlichster Bestandteil seiner Malerei aber ist das Porträt, insbesondere das Gruppenporträt, weil ihm daran liegt, Wechselbeziehungen zwischen den Einzelnen innerhalb der Gruppe sichtbar zu machen. Sein Drang, die Charaktere in ihrer Unverwechselbarkeit zu zeigen, schließt die Überzeichnung nicht aus, geht aber nicht bis zur Karikatur. In Selbstbildnissen stellt er sich mitunter selbstironisch in sowohl alltäglichen als auch ungewöhnlichen Situationen dar, wie es etwa das „Selbstbildnis mit Frisöse“ zeigt, Gilles Realismusverständnis äußert sich auch durch die Wahl optisch frappierender Blickwinkel und Bildausschnitte, die von seinen fotografischen Erfahrungen herrühren. Im

Unterschied zu einigen ihm künstlerisch verwandten Leipziger Malern seiner Generation wie Stelzmann oder Hachulla, betreibt er keine glättende Lasurtechnik, sondern läßt das Handschriftliche des Farbauftrages als emotionalen Reiz mitwirken.

Gille's „Elternbildnis“ steht in einer Reihe mit zwei anderen Elternbildnissen, dem von Otto Dix von 1924 und Willi Sittes „Meine Eltern von der LPG“ aus dem Jahre 1962. Gemeinsam ist diesen Doppelporträts, daß die Eltern beieinandersitzend in einem Wohnzimmer dargestellt sind. Es ist denkbar, daß Gille zu seinem „Elternbildnis“ von Dix angeregt wurde, zumal er sich intensiv mit dessen realistischer Kunst beschäftigt hat. Aber die schneidende Schärfe, mit welcher Dix seine von der schweren Arbeit und vom Alter gezeichneten Eltern dargestellt hat, erscheint bei Gille gemildert. Er verwendet auch im Unterschied zu der kühlen Farbigkeit von Dix eine warme Farbskala. Die Eltern sind von einem etwas erhöhten, rechts liegenden Standort gesehen, so daß der Vater in Nahsicht und das Bildformat in der Höhe ausfüllend erscheint - gesehen wie durch das Weitwinkelobjektiv eines Fotografen. Vater und Mutter sitzen hier nicht streng und parallel nebeneinander wie bei Dix, sondern sind mehr wie zufällig „aufgenommen“ und nicht eigens in eine besondere repräsentative Porträthaltung gebracht. Das verleiht der Bildaussage Unmittelbarkeit. Das Ehepaar sitzt an einem runden Tisch. Die Mutter wendet sich, ihr Buch weglegend, mit einer leichten Gebärde der Hand an den Vater, der auf eine Stelle in seiner Zeitung weist. Es scheint, als sei ein ruhiges Gespräch im Gange. Das Kolorit, die Stimmung unterstreichend, ist aus Tönen von bräunlichem Orange, Braun und mit Weiß gebrochenem Gelb und Ocker entwickelt. Lediglich das Rot der Krawatte des Vaters und das intensive Grün im locker und duftig gemalten Blumenbukett, welches erhöht auf der Kommode stehend das Bild nach hinten abschließt, heben sich etwas heraus.

Das Bild weist in der Aussage über Privates hinaus auf die Tatsache eines beruhigten, gesicherten Lebensabends hin, den die sozialistische Gesellschaft ermöglicht.

Quelle: Henry Schumann: Sighard Gille: Elternbildnis (1974). In: Malerei der DDR. Kataloge der Gemäldegalerie, Heft 5, hrsg. v. Museum der bildenden Künste. Leipzig 1977, S. 80.

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