Kathleen Schröter
Ein zurückgezogener Vorhang, davor, auf einer im Nichts endenden Bühne, ein Harlekin auf seiner Trommel. Er bedeutet uns Betrachtern mit einer Geste zu schweigen. Dahinter, in einem undefinierten Raum, sehen wir zwei Figuren, nackt und ungeschützt, fast schwebend. Ihre weiße Haut hebt sich deutlich vor dem dunklen Hintergrund ab. Unwillkürlich lassen die beiden Figuren an Adam und Eva denken, die Anspielung auf den Sündenfall ist eindeutig. Statt der biblischen Schlange jedoch windet sich hinter den beiden ein auffällig rotes Tuch. Es rahmt die Maske, die Eva hier an Stelle des Apfels in der Hand hält, und hebt diese als zentrales Bildelement hervor.
Joachim Kratsch studierte Anfang der 1960er Jahre an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Obwohl er ein Schüler von Bernhard Heisig war, erinnert sein altmeisterlicher Malstil eher an die Bilder Werner Tübkes. Die hier so zentral platzierte Maske wiederum lässt an den Leipziger Künstler Wolfgang Mattheuer denken, in dessen Werk die Maske ein wiederkehrendes Motiv darstellt. Sie kann für vielerlei stehen: Zum einen bedeutet sie Schutz, hinter ihr bleibt man unerkannt. Auch die Frau, die seitlich des Vorhangs hervorlugt, scheint sich jeden Moment das Gesicht bedecken zu wollen. Zum anderen bedeutet der Gebrauch einer Maske aber auch das Vorgeben falscher Tatsachen, sie bietet ein zweites Gesicht, steht für Lüge und Täuschung. Ist es das, womit sich die beiden nackten Figuren hier schuldig machen? Das kleine Spielzeug im Vordergrund deutet zudem auf opportunistisches Verhalten – ein Papierkreisel, der sich immer in die Richtung dreht, aus der der Wind bläst. Seine weiße Farbe korrespondiert mit der gleichfarbigen Maske und steht im Kontrast zu dem signalhaft leuchtenden Rot des Tuches. Es lässt mehrere Deutungen zu: Steht die Farbe Rot zwar gemeinhin für die Liebe, im Zusammenhang mit dem Entstehungsort und in der Anmutung als Fahne ist sie hier jedoch auch als Symbol für den Kommunismus lesbar. Das Bild lässt sich daher sowohl als eine Anklage von Lüge, Versteckspiel und Verrat in Paarbeziehungen deuten als auch als gesellschaftliche Kritik am menschlichen Verhalten, an der Doppelmoral in der DDR, in der nicht selten zwischen privater und öffentlicher Identität unterschieden wurde. Elemente christlicher Ikonographie in Kombination mit weltlichen Symbolen dienen hier zur Verschlüsselung einer kritischen Bildaussage – nicht zu Unrecht wurden gerade die Gemälde der ‚Leipziger Schule“ immer wieder als ‚Gedankenbilder‘ bezeichnet.
Der Künstler selbst ist Teil der Szenerie, symbolhaft (und nicht als naturgetreues Abbild) stellt er sich hier als Harlekin dar – ein in der Kunstgeschichte traditionsreicher Topos. Beide entwerfen Gegenwelten, sind Außenseiter der Gesellschaft und wie auch der Hofnarr sollen sie durch ihr Treiben unbequeme Wahrheiten aufdecken. Wie zur Unterstützung dieses Gedankens sitzt der Harlekin vor einem zurückgezogenen Vorhang, der den Blick freigibt auf den umgedeuteten Sündenfall. Er macht uns das Vergehen sichtbar, aber laut rufen oder gar die Trommel schlagen darf er nicht, selbst wir Betrachter sind zum Schweigen aufgefordert – auch das möglicherweise ein Kommentar zu den gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR.
Zitierempfehlung: Kathleen Schröter: Bilddossier zu "Das Paar in dunkler Umgebung" (1987) von Joachim Kratsch, Juli 2012. In: Kunst in der DDR, URL: <https://www.bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/404>