Die können ja noch malen!

Vorabdruck. Vor 35 Jahren: Die DDR zu Gast in Kassel. Reflexionen über ein Stück documenta-Geschichte

junge Welt vom 3.082012: „Während die gegenwärtige 13. documenta mit hohlem Getöse an uns vorüberzieht, gerät ein Jubiläum aus dem Blickfeld. Dieses Wegsehen hat seinen Grund weniger im üblichen Medienrummel um diese 100-Tage-Schau, sondern vor allem in der aktuell herrschenden Haltung zur DDR und zu ihrer Geschichte.

In diesen Tagen jährt sich die erst- und letztmalige Teilnahme von Künstlern aus der DDR an der documenta 6 zum 35. Mal. 1977 hatten offiziell vier Maler und zwei Bildhauer aus Leipzig, Halle, Berlin und Rostock insgesamt 25 Werke im Kasseler Fridericianum und im Freiraum vor einem Wandbild der chilenischen Malerbrigade »Pablo Neruda« gezeigt: Werner Tübke war u.a. mit seinen Bildern »Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze III«, »Bildnis eines sizilianischen Großgrundbesitzers«, »Tod in Venedig« und »Chilenisches Requiem« vertreten. Willi ­Sitte präsentierte ein Elternbildnis, seine »Sauna in Wolgograd«, die »Strandszene mit Sonnenfinsternis« und sein dynamisches Gruppenporträt »Die Sieger«; sein Triptychon »Jeder Mensch hat das Recht auf Leben und Freiheit« konnte aus zuvor nicht absehbaren Platzgründen nicht gehängt werden. Von Wolfgang Mattheuer waren u.a. die Gemälde »Hinter den sieben Bergen«, »Freundlicher Besuch im Braunkohlenwerk« und »Der übermütige Sisyphos und die Seinen« zu sehen. Und Bernhard Heisig, der – gemeinsam mit dem Kurator dieses DDR-Teils, Lothar Lang, auch die Hängung besorgte, stellte fünf seiner wichtigsten Werke vor: »Festung Breslau – Die Stadt und ihre Mörder«, eine »Ikarus«-Fassung von 1973, seinen »Traum des unbelehrbaren Soldaten«, das »Preußische Museum« und sein ergreifendes »Porträt Vaclav Neumann«, das den tschechischen Dirigenten und Violinisten sensibel erfaßt und für mich noch heute zum Besten zählt, was in der DDR auf dem Gebiet der Bildnismalerei entstand. Auf Vorschlag dieser vier Künstler waren Fritz Cremer mit seinem »Aufsteigenden«, der als Geschenk der DDR auch vor dem UNO-Gebäude in New York aufgestellt worden war, und Jo Jastram mit seinen »Ringern« aus der Kunsthalle Rostock vertreten. Außerdem waren in einer Abteilung Handzeichnungen – neben der offiziellen DDR-Auswahl und von der Öffentlichkeit wenig bemerkt – weitere Arbeiten von Werner Tübke und Gerhard Altenbourg aus dem Besitz von westdeutschen Sammlern untergebracht.

Ringen mit Vorurteilen

Obwohl vor allem in vier Buchpublikationen diese Teilnahme von Künstlern aus der DDR sowohl aus subjektiver Sicht1 als auch mit wissenschaftlicher Akribie2 reflektiert und untersucht ist, spielt dieses Kapitel der documenta-Geschichte in der Gegenwart kaum eine Rolle. Doch gerade jetzt, da immer noch und immer wieder ausgegrenzt, abgerissen, verdrängt und mit Halbwahrheiten, Lügen und Unterstellungen gearbeitet wird, bietet dieses 35 Jahre zurückliegende Ereignis Anlaß, über einen – wenn auch nicht konfliktlosen, so doch einigermaßen normalen – Umgang mit Kunst, die in der DDR entstand, nachzudenken.

Die Voraussetzungen waren damals schwieriger als heute. Es gab zwei deutsche Staaten, zwischen denen zu diesem Zeitpunkt noch kein Kulturabkommen existierte. Zwar hatte es bis dahin schon mehrere Ausstellungen in der Alt-BRD und in Westberlin gegeben, und auch nach dieser documenta zeigten bis 1989/90 Künstler aus der DDR dort in größerem Umfang ihre Werke. Aber die vor allem aus ideologischen Vorbehalten, aus Unkenntnis und Dünkel geborenen, pauschalierenden Urteile über einen genormten sozialistischen Realismus bestimmten – und bestimmen teilweise bis heute – das Verhalten gegenüber der im Osten Deutschlands entstandenen bildenden Kunst. Man hatte nicht oder kaum zur Kenntnis genommen, daß in der DDR Bilder, Graphiken, Plastiken und zu einem guten Teil auch Werke der angewandten Künste zunehmend einem dialogischen Prinzip entsprachen, das die Betrachter anregte, sich über ästhetische, weltanschauliche, historische, ethische oder philosophische Fragen zu verständigen. Die documenta verließ man demgegenüber meist ratlos oder ernüchtert desinteressiert. In einer soziologischen Studie wird z.B. nachgewiesen, daß 1972 in der VII. Kunstausstellung der DDR in Dresden mit 655000 Menschen dreimal mehr Besucher gezählt wurden als in der documenta 5 im selben Jahr in Kassel.3 Dieses Verhältnis änderte sich auch in den Folgejahren kaum.

1977 hatte man aber schon in stärkerem Maße verstanden, daß sich im Osten eine Kunst entwickelte, die sich in ihren Inhalten und Formen immer weniger von der Partei gängeln ließ und deren subjektive Prägungen mehr und mehr auch von einigen Funktionären verstanden wurden. Im Westen waren es vor allem Kunstkritiker wie Eduard Beaucamp und Eberhard Roters oder Museumsleute wie der damalige Direktor des Hamburger Kunstvereins Uwe M. Schneede, die Klischees abbauen halfen. So wirkten z.B. die Ausstellungen Willi Sittes (1975) und Wolfgang Mattheuers (1977) im Hamburger Kunstverein als wichtige Stationen auf dem Weg zur documenta 6.

Anerkennung und Protest

Die Einbeziehung der DDR in diese Schau war von den Veranstaltern – eingeordnet in den Realismusbereich – langfristig geplant. Im Komitee war darüber gestritten worden, doch im Juni 1977 wurde die Einladung bekanntgegeben. Der damalige documenta-Generalsekretär Manfred Schneckenburger hatte die vier Maler direkt eingeladen; die beiden Bildhauer kamen entsprechend dem Vorschlag der Maler hinzu. Insgesamt reagierte die Presse positiv, doch bis heute hält sich z.B. der schon damals geäußerte Verdacht, die DDR habe die documenta-Leitung erpreßt. Manche witterten mit der Teilnahme der Künstler aus der DDR eine Gefahr für die Freiheit der Kunst und sprachen von einem Skandal. Doch Schneckenburger stellte in der Zeitschrift pardon fest: »Bösartige Kritiker vermuten: DDR-Funktionäre schrieben uns vor, was zu zeigen wäre. Das stimmt ganz und gar nicht. Es gibt, die DDR betreffend, keine Gegenleistungen und keine Kunsttauschgeschäfte – das gehört nicht zum Konzept.«4

Nicht nur in der BRD gab es Vorbehalte gegenüber der DDR-Teilnahme; auch in der DDR stand man der documenta skeptisch gegenüber. Wie diese Hemmnisse mit viel diplomatischem Geschick überwunden werden konnten, stellt Gisela Schirmer in ihrem Buch »DDR und documenta. Kunst im deutsch-deutschen Widerspruch« auf beeindruckende Weise, mit umfangreicher Quellenkenntnis dar. Es gab damals auch schon ein großes Interesse an künstlerischen Entwicklungen in den sozialistischen Ländern, das aber erst nach dieser documenta durch die umfangreichen Aktivitäten des Kölner Kunstsammlers Peter Ludwig befriedigt werden konnte.

Willi Sitte erzählt in seiner Autobiographie, er und die anderen Maler seien zunächst aufgefordert worden, Arbeiten in anspruchsvollen Formaten einzureichen, weil man sie gleichberechtigt präsentieren wollte. Ein ganzer Seitenflügel des Fridericianums sollte zur Verfügung stehen. Am Ende wurden aber die Bilder wegen allgemeiner Raumnot in einem Durchgangsraum mit niedriger Deckenhöhe gehängt; die großen Formate reichten vom Fußboden bis zur Decke, und die Abstände zwischen den Werken waren so dicht, daß die Gesamtwirkung stark beeinträchtigt wurde.

Doch die Anerkennung durch die an dieser documenta Beteiligten und durch zahlreiche westliche Künstler war groß. Joseph Beuys, Wolf Vostell, Klaus Staeck, Nam June Paik und andere äußerten sich öffentlich erfreut über die Teilnahme von Künstlerkollegen aus dem Osten. Beuys ließ sich von Lothar Lang durch die DDR-Kollektion führen. Diese offene, kollegiale Haltung half auch, die nicht ausbleibenden Proteste in ihrer Wirkung zu schmälern. Der Hamburger Galerist Hannes von Gösseln drohte damit, alle seine Leihgaben zurückzuziehen, falls die Plastiken von Cremer und Jastram nicht entfernt würden. Am 22. Juni 1977 wurden in einer Pressekonferenz Flugblätter verteilt, in denen Georg Baselitz und Markus Lüpertz mitteilten, daß sie aus Protest gegen die »Überlastigkeit zugunsten der DDR-Vertreter« ihre Werke zurückgezogen hätten. Auch Ralf Winkler alias A. R. Penck forderte seine Arbeiten zurück. Doch Joseph Beuys, Eduard Beaucamp, der damalige Kasseler Oberbürgermeister und spätere Finanzminister Hans Eichel und viele andere setzten sich vehement für die DDR-Kollektion ein. Lothar Lang erinnert sich: »Der Versuch, (…) mit dem Hinweis auf die Beteiligung von sechs DDR-Künstlern ein politisches Feuerchen zu entfachen, ging im überwiegenden Wohlwollen für diesen ersten documenta-Auftritt der DDR unter. (…) Die Geschichte ist über diese Rankünen hinweggegangen. Auf die Entwicklung der Kunst hatten sie weder in West noch Ost einen Einfluß. Zu den Ergebnissen gehörte jedenfalls, daß die Kunst aus der DDR zunehmend zu einem Gesprächspartner im internationalen Kunstprozeß wurde.«5″ weiterlesen

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