„Ich möchte Betroffenheit auslösen…“

Ronald Paris über Künstler als Ärzte und Philosophen, über Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit

nd vom 10.4.2012: „Über mangelndes Interesse kann er nicht klagen: Vorige Woche lud er zur Vernissage nach Dresden: Porträts und Landschaften. Anfang Juni wird eine größere Schau in Merseburg eröffnet. Dennoch vermisst RONALD PARIS Anerkennung der Kunst und Künstler aus der DDR. Der 1933 geborene Maler hat an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee studiert, war Meisterschüler von Otto Nagel, Mitbegründer der »Intergrafik« und in den 90er Jahren Professor für Malerei an der Hochschule Burg Giebichenstein in Halle. Über sein Leben und seine Kunst sprach er mit der nd-Redakteurin KARLEN VESPER.

nd: Herr Professor, »Lob des Kommunismus« heißt Ihr legendäres, neun Meter langes Wandbild von 1969/70, das heute im DDR-Museum an der Spree zu sehen ist. Wie kamen Sie zu diesem Titel?
Paris: Ich wollte ein Geschichtspanorama schaffen: Aufbruch und Abbruch, Hoffnungen und Enttäuschungen, die Gewalt der Kriege und Bürgerkriege bildhaft werden lassen, ein permanent fürchterliches Zeitgeschehen. Man selbst war ja von dieser Geschichte nicht unberührt. Ich suchte also ein Motto. Und da war mir Brecht recht. Mir hat vor allem der Schlusssatz seines Lobgedichtes gefallen: »Er ist das Einfache, das schwer zu machen ist.« Das ist es! Es ist kein Spaziergang, zu einer gerechteren Gesellschaft zu gelangen. Aber es ist möglich. Das ließ hoffen. Und lässt hoffen.

»Er ist vernünftig, jeder versteht ihn«, heißt es in Brechts Gedicht über den Kommunismus.
»Die Dummköpfe nennen ihn dumm, und die Schmutzigen nennen ihn schmutzig. Er ist gegen den Schmutz und gegen die Dummheit… Er ist keine Tollheit, sondern das Ende der Tollheit.«

Nun hat aber der Kapitalismus triumphiert, weltweit.
Ich bin überzeugt, dass er nicht das Ende der Geschichte ist. Das wird uns doch gerade dieser Tage deutlich. Der Kapitalismus ist nicht vernünftig, er ist schmutzig, er ist eine Tollheit, und es gibt kein Verbrechen, das er nicht wagen würde, wenn es Profit verspricht. Wie es schon bei Marx heißt.

Das Wandgemälde verhalf Ihnen zu einem Bekanntheitsgrad, der für Sie sicher vorteilhaft war?
Ich hatte einen kleinen Schelmenstreich begangen, indem ich mich des Brechtschen Lobgedichtes bediente, ihm zu einer Dominanz verhalf, die es in der damaligen DDR-Gesellschaft schon nicht mehr hatte. Man konnte mich jetzt nicht mehr einfach im Abseits stehen lassen. Das muss einigen Genossen »oben« schwergefallen sein. Denn ich war suspekt durch meine Illustrationen zu Wolf Biermanns Gedichtband »Die Drahtharfe« von 1965, in dem dieser die alten Genossen aufrief: »Tretet zurück, indem ihr uns den neuen Anfang lasst!« Ein Sakrileg. Biermann bekam Auftrittsverbot.

Und Sie schrammten knapp an einem Parteiausschluss vorbei. Ihr Wandgemälde selbst wurde kritisiert. Was warf man Ihnen vor?
Dass das Bild keine Zuversicht versprühe. Wenn ich Zuversicht versprühen wollte, wäre ich Parteisekretär geworden. Oder, um es heutig zu sagen: Versicherungsvertreter. 24 Änderungswünsche wurden an mich herangetragen. Eine Forderung betraf den Arbeiter am Anfang des Bildes: »Unsere Menschen laufen nicht mehr barfuß!« Ich sollte ihm Schuhe anziehen. Doch ich habe ich nichts geändert. Ich war so frei.

Der engagierte Künstler ist heute eine seltene Spezies. Wurde er verschreckt durch die nach 1990 gegen ihn geschwungene Keule?
Sie meinen das Verdikt: DDR-Kunst ist gleich Verherrlichung des Systems. Absoluter Quatsch. Es stimmt einfach nicht, dass alle politisch-thematischen Werke in der DDR per Auftrag zustande kamen. Ich wage zu behaupten, 70 Prozent deckten sich mit dem inneren Auftrag des Künstlers. Es wäre und bleibt fragwürdig, wenn man als Künstler Werke schafft, mit denen man sich nicht identifizieren kann. Aber diese dummdreiste Verteufelung hatte Konsequenzen. Sie diente als Freifahrtsschein, DDR-Kunst in verstaubte Magazine zu verbannen. Und wenn sie gezeigt wird, so zur Diskreditierung. Doch die unqualifizierte Aburteilung ist entkräftet worden – von den Adressaten unserer Arbeiten. “ weiterlesen

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