„Bildatlas DDR: Thüringer Museen präsentieren ostdeutsche Kunst“

Im Herbst wagen Thüringer Museen in Weimar, Erfurt und Gera einen neuen Blick auf Kunst, die zu DDR-Zeiten entstand.

OTZ.de vom 19.4.2012: „Der Eklat des Kulturstadtjahres Weimar ’99 haftet noch tief in den Gedächtnisrinden deutsch-deutscher Kunstfreunde. Damals hatte die Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“ im ehemaligen Gauforum insbesondere durch die Art der Präsentation von Kunstwerken aus der DDR heftige und polemische Debatten ausgelöst. Jetzt wagt die Klassik-Stiftung einen neuen Anlauf: Auf der Basis des umfangreichen, dreijährigen Forschungsprojektes „Bildatlas: Kunst aus der DDR“ zeigt sie ab 19. Oktober im Neuen Museum die Schau „Abschied von Ikarus“ mit einem thematisch gegliederten Querschnitt ostdeutscher Malerei. Flankiert wird diese Unternehmung durch Ausstellungen im Angermuseum Erfurt und in der Orangerie der Geraer Kunstsammlung.

Etwa 180 Werke werden dabei in Weimar zu sehen sein, und Spannung verspricht dieser Einblick in den jüngsten Abschnitt der Kunstgeschichte schon allein durch die Ankündigung vieler vergessener, wieder neu zu entdeckender Künstler und Bilder: Josep Renaus „Die friedliche Nutzung der Atomenergie“ beispielsweise oder Lothar Zitzmanns „Kosmonauten“, A. R. Pencks frühe „Systembilder“ oder Heidrun Hegewalds „Kassandra“-Deutung. Viele der Arbeiten wurden bei den Recherchen zum „Bildatlas DDR“ in Sonderdepots oder in Regionalmuseen ausfindig gemacht, manche davon gelten – wie Zitzmann in Gera – als regelrechte Trouvaillen.

Daran, dass die nach wie vor schwelende deutsch-deutsche Kunstdebatte den drei Ausstellungen in Thüringen eminente überregionale Aufmerksamkeit bescheren wird, hegen Professor Wolfgang Holler, Direktor Museen der Klassik-Stiftung, und seine Mitstreiter keine Zweifel. Einen „heißen Herbst“ fürchtet er jedoch nicht. „Wir sind uns unserer Sache sehr sicher“, sagte er am Mittwoch.

Denn der „Bildatlas DDR“ liefere eine Materialbasis von 20.000 Einzelwerken aus 160 Museen, Sammlungen und Depots, um zumindest „wesentliche Merkmale“, so Holler, von Kunst in der DDR exemplarisch herauszuarbeiten. Erstellt wurde das Kompendium in einem Verbundprojekt der Staatlichen Kunstsammlungen und der TU Dresden, des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam und des Kunstarchivs Beeskow.

„Die Ausgangsbeobachtung war: Die meisten Kunstwerke aus der DDR sind in Depots eingelagert“, erklärt Professor Karl-Siegbert Rehberg als Projektkoordinator. Nun ist der „Bildatlas“ in Kürze zumindest per Datenbank verfügbar und soll, zumindest in Auszügen, gedruckt werden. Auch nur annähernde Vollständigkeit war mit dem aus Mitteln des Bundesforschungsministeriums finanzierten Projekt freilich nicht zu erzielen, beklagt Rehbergs Dresdner Kollege Paul Kaiser. Dennoch: Die Wissenschaft widmet sich mit neuem Elan der Aufarbeitung des ostdeutschen Bilderkosmos und seiner Themen.

Eine Klassifizierung der Akteure in Staatskünstler, Bohemiens und Dissidenten mag dabei eher ein nachrangiger Aspekt sein. Für die Weimarer Schau wählen Kaiser & Co. bewusst den thematischen Zugang über den mythologischen Flugschüler Ikarus – als Sinnbild gescheiterter Utopien. Von Kunst-Stars wie Wolfgang Mattheuer und Bernhard Heisig wird da die Rede sein, aber auch von vielen heute Unbekannten, von durchaus euphorischen „technokratischen Utopien“ ebenso wie von einer gebrochen-melancholischen Antike-Rezeption, von politisch systemkonformen, ja propagandistischen Ausdeutungen wie von subversiv gewendeten Ikonografien.

Ähnliche Schau-Aufgaben stehen dann zeitgleich den Besuchern des Erfurter Angermuseums und der Geraer Orangerie bevor; die eine Ausstellung zeigt Atelierbilder und Künstlermythen und damit Selbstreflexionen von DDR-Künstlern unter dem Titel „Schaffens(t)räume“, die andere christliche Bilder in einer atheistischen Welt unter dem Motto „Tischgespräch mit Luther“. Man wird, das ist vorhersehbar, die Grand Tour entlang dieser drei Thüringer Wegmarken des „Bildatlas“ an einem einzigen Tage nicht bewältigen können – Kulturreisende von auswärts sind umso herzlicher willkommen. Daneben will Rehberg später weitere Expositionen anregen, etwa im Westen unserer Republik oder in Frankreich.“ weiterlesen

zum Thema:

„Abschied von Ikarus“ in Weimar, Erfurt und Gera (OTZ.de vom 19.4.2012)

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